Neni ist wieder zu Hause

Allerseelen %u2013 das Fest der Verbindung mit den Verstorbenen über den Tod hinaus. , Die Hauskirche kennt wundervolle Bräuche, wie der Abschied von einem lieben Verstorbenen gelingen kann, schreibt Lea Jehle in einem Beitrag für den Tiroler Sonntag.

Auf der Wohnzimmercouch sitze ich nun – müde, aber erfüllt, dankbar und ein bisschen traurig. Mein Schwiegerpapa Franz Jehle aus Mathon, „Neni” sagten wir zu ihm, wurde heute beerdigt. Im 86. Lebensjahr war er. Von Beruf Liftangestellter und Bauer mit Leib und Seele. Hart war seine Jugend – nicht immer leicht auch sein Lebensabend. Drei Buben verlor er, zwei davon innerhalb von 17 Monaten. Seine Frau starb vor einem Jahr. Neni war immer bescheiden und anspruchslos. Wehleidig war er nie, doch weiß ich von seinen Schmerzen am Fuß und anderen Leiden.

Besonders wichtig für ihn war sein „Gugger“ (Fernrohr). Sein Herz schlug jedes Mal höher, wenn er einen Hirsch oder ein Reh sah. Ein großes Herz hatte er für seine Katze. Zu ihr hatte er eine besondere Beziehung. Sie war für ihn sehr wichtig und genoss bei ihm einige Sonderrechte. Die Welt wurde kleiner. Als Neni in den Rollstuhl kam, wurde seine Welt kleiner. Die zwei Küchenfenster schenkten ihm einen Blick auf „seine” Wiesen, die er viele Jahre gemäht hat. Solange er sich noch keine Maschinen leisten konnte, musste das Heu mit „Bindln“ in den Stadel getragen werden.

Langsam wurde Neni vergesslich. Oft rief er nach seinen zwei Buben, die er in den letzten zwei Jahren verloren hatte. „Neni, dia sein iatz im Himmel. Da, wo a deine Ida isch“, trösteten wir ihn. Oft und gerne fragte er nach den Kindern von seinen Söhnen und seiner Tochter. Er war immer interessiert, was jeder macht. Und Neni wurde auch schwächer. In den letzten Wochen war er bettlägrig. Ich bewunderte seine Geduld und seine Bescheidenheit. Im Kreise seiner Familie und der Pflegerinnen fühlte er sich wohl. Schwer waren für ihn aber bestimmt oft die Stunden, in denen er allein war.
Gut zu spüren war, wie es ihn zu seiner Frau und den verstorbenen Buben hinzog.
Zwei letzte Fragen. Auch wenn Neni zuletzt sehr vergesslich war, zwei Fragen bewegten ihn sehr: „Isch `s Vieh alls gsund und all`s dahoam?“ – Und: „Wia geahts der Kathrin? Isch `s Bobbele schun da?“ Als er von seinem 5. Urenkelkind, das den Namen FRANZiska Ida trägt, hörte, tat er, als hätte er es verstanden. Er lächelte leise und machte sich zwei Tage später auf seine große, lang ersehnte Reise. Neni war umgeben von seinen „Engsten“, die ihm auf seinem letzten Weg „nach Hause“ halfen.
Der Glaube trägt. Ich merke: Ein großes Geschenk in diesen schweren Tagen des Abschiednehmens ist der Glaube, der einen trägt und Hoffnung gibt. Eine große Hoffnung auf ein Weiterleben. In Gottes Arme fallen, in seine unendliche Liebe, in der er neues Leben schenkt. Mit dieser Zuversicht kann ich leichter los lassen. Neni gönne ich das erhoffte „Daheimsein“.
Abschied nehmen und erinnern. Neni wird daheim aufgebahrt. In seiner Stube ruht er nun, umgeben von Blumen und Kerzen. Zweieinhalb Tage wird gewacht, gebetet und in Liebe an ihn gedacht. Verwandte, Nachbarn, viele Bekannte kommen um „pfiati“ zu sagen.
Sie beten für ihn und trösten die Trauernden. Wie gut tut da ein Händedruck, eine herzliche Umarmung. Es wird über den Verstorbenen gesprochen, verschiedenste Erinnerungen werden wach. Einige Episoden sind für uns neu, habe ich noch nie gehört.
In der Stube ist es ganz still. Um 20.00 Uhr und um 22.30 Uhr wird ein Rosenkranz gebetet. Ein stilles Kommen und Gehen – den ganzen Tag über bis spät in die Nacht hinein. Wie das trägt. Wie das gut tut, tröstet und hilft. In der Küche gibt es eine Marend. Es wird erzählt, auch Freude und Lachen haben Platz. 

Kinder bringen Leben in das Haus. Wenn sie dem Neni Weihwasser spritzen, wird das recht intensiv gemacht. Da wird mit Weihwasser nicht gespart. Und immer wieder höre ich ein Fragen: „Wo isch iatz der Neni?“ Kinder lernen ganz natürlich mit dem Sterben umzugehen. Manche Gesten und Antworten machen mich still und staunen.
Ein Weg für immer. Besonders schwer ist der Augenblick, als die Feuerwehrleute Neni aus dem Haus tragen. Für immer. Ein „großer Zug“ begleitet ihn auf dem letzten Weg zum Friedhof. Wie viele Gedanken mir da durch den Kopf gehen. Zwischen Beten und Schweigen kommen Fragen und Gedanken wie: Werde ich es schaffen, die Fürbitten lesen zu können?... Leer ist nun das Elternhaus, wird meinem Mann weh tun… Nona wird lächelnd zu ihm sagen: „Bisch iatz ou da!“  Tränen rinnen über meine Wangen.
Beim Eintreten in die Kirche ertönt feierliches Orgelspiel. Plötzlich spüre ich eine Ruhe in mir. Ich weiß mich umgeben und gestützt von vielen lieben Menschen, die jetzt an mich denken und auch für mich beten. Meine Trauer wandelt sich und ich werde von diesem Auferstehungsgottesdienst getragen. Ganz tief in mir drinnen weiß ich: „Neni hat es jetzt gut.“ Ich bin  fest davon überzeugt. Auf einmal kann ich so richtig mitfeiern. Und die Fürbitten mit meinem Mann lesen und die Meditation nach der Kommunion.
Beim gemeinsamen Essen ist Neni „bei uns“. 

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Tiroler Sonntag - Aktuell