Märtyrer: Eine Ahnung von Erlösung

Über alle Zeiten hinweg faszinieren und erschrecken uns Menschen, die ihr Leben hingeben. Der Begriff des Märtyrers wird oft ideologisch missbraucht. Der Innsbrucker Theologe Univ.-Prof. Roman Siebenrock erklärt Merkmale authentischen christlichen Ma...

Über alle Zeiten hinweg faszinieren und erschrecken uns Menschen, die ihr Leben hingeben. Der Begriff des Märtyrers wird oft ideologisch missbraucht. Der Innsbrucker Theologe Univ.-Prof. Roman Siebenrock erklärt Merkmale authentischen christlichen Martyriums.

Ein Interview von Brunhilde Steger 

 

Tiroler Sonntag: Wenn ich an Märtyrer denke, fallen mir zunächst frühchristliche Heilige ein: Sebastian, der von Pfeilen durchbohrt wird, oder Katharina von Alexandrien, die gerädert wurde. Zahlreiche Legenden und Abbildungen zeigen ihr Leiden als etwas Heldenhaftes.  

Siebenrock: Menschen geben ihr Leben für Vieles hin; das ist keineswegs nur zustimmungswürdig, sondern höchst gefährlich und ambivalent. Das Christentum hat gerade in diesem diffusen Terrain ein entscheidendes Kriterium eingebracht: Der wahre Märtyrer steht in der Nachfolge des gewaltfreien und um Vergebung für seine Mörder bittenden leidenden Jesus Christus.

Aber es gilt: Nicht das Leiden, sondern die Freude am Glauben bzw. die Gnade des Herrn macht das Martyrium aus. Wer die Passionsgeschichte Jesu liest, merkt sehr deutlich, dass die Geißelung, die Dornenkrönung, das Ans-Kreuz-Nageln erwähnt, aber nicht näher geschildert werden. Die Volksfrömmigkeit hat diese Sicht erweitert und das Leiden ausgedehnt. Unsere barocken Märtyrerdarstellungen konzentrieren sich auf Schmerz und Ekstase und im Film „Passion“ des Amerikaners Mel Gibson rinnt kübelweise das Blut.

 

Der Karfreitag schildert die Passion Jesu nach Johannes. Schildert dieser Evangelist besondere Merkmale des Martyriums? 

Siebenrock: Jesus wird keineswegs passiv, sondern als souveräner Herr beschrieben, der auch in seiner Verhaftung Herr des Geschehens bleibt. Die anderen Evangelien betonen anderes: Hier gibt es die „Ölbergstunde“, in der die Angst Jesu beschrieben wird. Aber dass Jesus am Kreuz von Gott verlassen wurde, glaube ich deshalb nicht, weil er den Psalm 22 betet, der in große Zuversicht führt. Wichtig ist: Jesus hat nicht das Kreuz gesucht, aber er ist dem Willen des Vaters gehorsam geblieben. Dieser Wille besteht im treuen Zeugnis für die Torheit der ausgelieferten Liebe Gottes zu seiner Schöpfung. Gottes Wesen wird in vollendeter Weise in unserer Geschichte aus Mord und Gewalt im geöffneten Herzen Jesu sichtbar.

 

In Ihrem Buch beleuchten Sie die Geschichte des Martyriums in der Alten Kirche, in der Reformationszeit und dem 20. Jahrhundert. Gibt es verbindende Merkmale für die Märtyrergeschichten über die Zeit hinweg? 

Siebenrock: Das Merkmal der Gewaltfreiheit des christlichen Martyriums war zwar in der Tradition immer da, aber nicht hinreichend klar bestimmt. Im „alten“ Martyrium gibt es keine „Gethsemanistunde“, da wird heroisch gedacht. Ebenso fehlte die Vergebungsbitte, die in der Passio Jesu angelegt und in seiner Feindes- und Nächstenliebe begründet ist.  Erst die Märtyrer des 20. Jahrhundert lassen diesen zentralen Aspekt hervortreten. Dann, wie es das Beispiel vieler Menschen auch in unserem Land zeigt, treten die Märtyrer nicht mehr allein für die Kirche oder gar gegen andere Menschen ein, sondern für andere, auch für Juden, Muslime oder Atheisten. Dadurch unterbrechen sie die Gewaltsprirale der Rache und lassen uns eine Ahnung von Erlösung verschmecken.

 

Im 20. Jahrhundert sind unzählige Christen aller Konfessionen zu Märtyrern geworden.  Kann es sein, dass es bald ein gemeinsames Gedächtnis der Kirchen gibt? 

Siebenrock: Die fürchterlichen Zerfleischungen des Christentums im 16. Jahrhundert haben sich revidiert. In Konzentrationslagern und Hinrichtungsstätten fanden nicht nur ChristInnen und Christen zueinander, sondern Menschen mit sehr unterschiedlichen Überzeugungen. Ich halte den aus diesen Begegnungen erfahrbaren Respekt und Einsatz für die Menschenwürde aller für ein kostbares Erbe, dessen wir uns immer erinnern sollten. Papst Johannes Paul II. sprach gerne von der Ökumene der Märtyrer. Ich meine, dass ihr Zeugnis die Einheit der Kirche fordert.

Wir sollten beginnen, eine gemeinsame Gedenkkultur auszubauen. Alle Differenzen, die gegen eine Einheit am Tisch des Herrn vorgebracht werden, sind durch dieses Zeugnis der Märtyrerinnen und Märtyrer aufgehoben.

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