Kreuzabnahme

Eine vorösterliche Betrachtung von Generalvikar Jakob Bürgler zum Kreuz.

Ungewöhnlich heftig ist in den vergangenen Wochen die Diskussion um das Kreuz in öffentlichen Gebäuden und Räumen aufgeflammt. Im Namen von Religions-freiheit verlangen Einzelne und Gruppierungen die Abnahme von Kreuzen in Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern. Das Kreuz wird als Vereinnahmung durch die Kirche oder als Bedrohung für ein gelingendes Leben gesehen.  Vor einigen Tagen in Innsbruck: Die theologische Fakultät hat zum Kreuzweg der Märtyrer eingeladen. Gemeinsam wurde der Glaubenszeugen unserer Heimat während des nationalsozialistischen Regimes gedacht. (Eine Aussage hat mich aufhorchen lassen: Der damalige Gauleiter wollte dem Führer zu dessen 50. Geburtstag ein klosterfreies Tirol melden.) Wir haben das Kreuz mit uns genommen und uns am öffentlichen Platz vor der Jesuitenkirche um das Kreuz geschart. Ein starkes Zeichen in der mittäglichen, gestressten Öffentlichkeit.

In der Karwoche richtet sich unser Blick auf jenen, der „behauptet“ hat, Gottes Sohn zu sein, von Gott authentisch Zeugnis zu geben, ja selbst Gottes Tun für die Menschen sichtbar zu machen. Und dieser Eine stirbt erbärmlich am Kreuz, wird festgenagelt und „ausgelöscht“. Als er stirbt, wird das Wort des Hauptmanns zum Bekenntnis: Wahrhaftig, das war Gottes Sohn. Der Leib des Toten wird vom Kreuz genommen und in den Schoß seiner Mutter gelegt. Kreuzabnahme. Ein Bild der Trauer und der Bitternis. Aber auch ein Bild, in dem viele Menschen Trost finden: Wenn ich Leid und Schmerz zu tragen habe, bin ich nicht allein. Gott trägt mit mir. Ich brauche das „Kreuz meines Lebens“ nicht zu verstecken. Ein Leben ohne Kreuz gibt es nicht. Aber: Ich bin nicht allein.

Damit ist der Weg nicht zu Ende. Am dritten Tag, so berichtet die Bibel, durchbricht dieser Eine die Fesseln des Todes und der Zerstörung, eröffnet durch das Leiden hindurch einen Pfad zum Leben. Das Leid und der Tod haben nicht das letzte Wort. Und damit auch nicht das Kreuz als Sinnbild von Sinnlosigkeit und Ohnmacht, von Zerstörung und Gewalt. Das Kreuz wird zum Baum des Lebens. Jesu Auferstehung hüllt das Kreuz in Licht – auch wenn die Wunden bleiben.

In der Klosterkirche der Karmelitinnen in Innsbruck ist vor kurzem ein neues Kreuz „aufgerichtet“ worden. Ein Kreuz, umgeben von einem kraftvollen goldenen Hintergrund. Es zahlt sich aus, dieses besondere Werk aufzusuchen und sich von ihm ansprechen zu lassen. Die Botschaft: Das Kreuz des Todes wird umfasst vom Licht der Auferstehung. Gott umfängt das Kreuz – und damit auch unser Kreuz – mit seinem Licht. Wer sein eigenes Kreuz von Gott her „durchleuchten“ lässt, dem wird es letztendlich in Leben verwandelt und abgenommen. Kreuzabnahme.

Ich wünsche Ihnen allen den reichen Trost in der Erfahrung, dass Kreuzabnahme auch heute geschieht.

Jakob BürglerGeneralvikar der Diözese Innsbruck und Herausgeber des "Tiroler Sonntag". 

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Kreuzabnahme