Gott in allen Dingen finden

Im überfüllten Madonnensaal der Theologischen Fakultät sprach der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff über seine Vision einer neuen Ethik zur Bewahrung der Erde und des Lebens.

"Die Erde hängt am Kreuz und wir müssen sie herabholen“, sagte Leonardo Boff in seinem Vortrag. Durch die Globalisierung auf wirtschaftlicher und finanzieller Ebene würden einander erstmals alle Völker im „Haus Erde“ begegnen. Allmählich reife dadurch auch ein weltweites Bewusstsein dafür, dass die Erde bedroht ist. An einer Ethik, die die Grenzen von Ländern und Kulturen überschreitet, fehle es aber noch.

Die Erde ist bedroht. Leonardo Boff ist Mitarbeiter der von 46 Ländern verfassten „Erdcharta“. Der Träger des alternativen Nobelpreises sieht in der Umwelt- und Klimaproblematik eine ethische Herausforderung, weil sie das Leben als Ganzes betreffe. „Manche Prognosen gehen von einer Erderwärmung um bis zu vier Grad Celcius bis zum Ende dieses Jahrhunderts aus. Temperaturen, die einige Lebensformen nicht aushalten werden“, so Boff. Auch die Menschheit würde dann nur mehr in Oasen überleben können, ist der Theologe überzeugt. Weltweites ethisches Handeln sei daher dringend gefordert. „Leider ist aber der Kooperationsgeist zwischen den Ländern zu klein“, sieht Boff den Egoismus der Nationalstaaten als Hindernis. Dabei gebe es keinen Aufschub, denn wir seien bereits an einem kritischen Moment der Menschheitsgeschichte angekommen. „Wir stehen vor der Wahl: Partnerschaft zugunsten der Rettung der Welt oder das Leben wird zugrunde gehen“, verdeutlicht Boff drastisch die Dringlichkeit.

Leidenschaft für das Leben. Um Ausbeutung und Barbarei von Mutter Erde in den letzten Jahrhunderten wieder gut zu machen, würde eine Verringerung der Dosis nicht genügen. Mit Albert Einstein ist sich Boff einig, dass uns das Denken, das uns in die Krise gebracht hat, nicht retten kann. Wir müssten die Erde in Zukunft mit Respekt, Achtsamkeit und Verehrung betrachten. Emotion, Leidenschaft und Pathos seien gefragt, um die volle Dimension des Lebens zu erfassen. „Wir müssen das Herz wieder ins Recht setzen“, plädiert Boff. Es fehle nicht an Vernunft, Ideen oder Projekten, sondern an gesunder Emotion.

Für eine Spiritualität des Respekts. Fünf Prinzipen erachtet der Theologe als wesentlich: Sorge und Achtsamkeit, Respekt vor allem Sein und Leben, Kooperation, Verantwortung und Spiritualität. Dabei sei Spiritualität etwas umfassendes, interkulturelles und jedem Menschen inne wohnend. Immer, wenn wir uns als Teil eines großen Ganzen empfinden und begreifen, dass es eine Beziehung zwischen allen Dingen und allem Leben gibt, würde unsere Spiritualität offenbar, so Boff. „Wenn wir eine Energie des Göttlichen entwickeln, zeigt sie sich als Solidarität, als Liebe, als Fähigkeit zu verzeihen und zu hoffen.“ Die große Herausforderung bestehe nicht darin, Gott zu begreifen, sondern darin, ihn im Herzen zu haben, so Boff.

Ein schmerzhafter Weg. Die Zukunftsprognose von Leonardo Boff ist schmerzhaft, aber dennoch voller Hoffnung: „Wir gehen auf ein großes Leiden und auf eine große Krise zu“. Und wenn uns das Wasser erst einmal bis zur Nase stehe, sei die Zeit reif für eine Umkehr. „Das gegenwärtige Chaos ist auch die Chance für einen großen Sprung nach vorne. Denn Krisen reinigen und läutern und geben letztendlich den Kern frei für einen hoffnungsvollen Neubeginn.“

leonardo_boff_1.jpg
Gott in allen Dingen finden