Echter Dialog braucht ein Gesicht

Keine andere Persönlichkeit hat vergangene Woche so sehr die Aufmerksamkeit auf sich gezogen wie Papst Franziskus. Um eine Erweiterung der Horizonte ging es ihm In Strassburg vor dem Europarat und später in der Türkei im Gespräch mit Vertretern des I...

Auszug aus der Ansprache von Papst Franziskus bei der Göttlichen Liturgie in Istanbul: 

„Mehrmals habe ich als Erzbischof von Buenos Aires an der Göttlichen Liturgie der orthodoxen Gemeinden in jener Stadt teilgenommen. Aber hier und heute in dieser Patriarchatskirche St. Georg zu sein für die Feier des heiligen Apostels Andreas, erster der Berufenen und Bruder des heiligen Petrus, Patron des Ökumenischen Patriarchats, ist wirklich eine einzigartige Gnade, die der Herr mir schenkt. Sich begegnen, gegenseitig das Gesicht sehen, einander den Friedenskuss geben, füreinander beten, sind wesentliche Dimensionen auf dem Weg zur Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft, die wir anstreben. All das geht voraus und begleitet ständig jene andere wesentliche Dimension dieses Weges, den theologischen Dialog. Ein echter Dialog ist immer eine Begegnung zwischen Menschen mit einem Namen, einem Gesicht, einer Geschichte und nicht nur eine Auseinandersetzung von Ideen …“

„Jedem von euch möchte ich versichern, dass die katholische Kirche, um das ersehnte Ziel der vollen Einheit zu erreichen, nicht beabsichtigt, irgendeine Forderung aufzuerlegen als die, den gemeinsamen Glauben zu bekennen, und dass wir bereit sind, im Licht der Lehre der Schrift und der Erfahrung des ersten Jahrtausends gemeinsam die Bedingungen zu suchen, um mit diesen die notwendige Einheit der Kirche unter den gegenwärtigen Umständen zu gewährleisten: Das Einzige, was die katholische Kirche wünscht und ich als Bischof von Rom, ,der Kirche, die den Vorsitz in der Liebe führt‘, anstrebe, ist die Gemeinschaft mit den orthodoxen Kirchen. Diese Gemeinschaft wird immer die Frucht der Liebe sein, ,denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist‘ (Röm 5,5), Frucht brüderlicher Liebe, die dem geistigen und transzendenten Band, das uns als Jünger des Herrn verbindet, Ausdruck verleiht …“

Auszug aus der Rede von Papst Franziskus vor dem Europarat in Strassburg: 

„Um das Gut des Friedens zu gewinnen, muss man vor allem zum Frieden erziehen, indem man eine Kultur des Konfliktes fernhält, die auf die Angst vor dem anderen, auf die Ausgrenzung dessen, der anders denkt oder lebt, ausgerichtet ist. Freilich darf der Konflikt nicht ignoriert oder beschönigt werden; man muss sich ihm stellen. Wenn wir uns aber in ihn verstricken, verlieren wir die Perspektive, die Horizonte verengen sich, und die Wirklichkeit selbst zerbröckelt. Wenn wir in der Konfliktsituation verharren, verlieren wir den Sinn für die tiefe Einheit der Wirklichkeit, halten die Geschichte an und verfallen der inneren Zermürbung durch fruchtlose Widersprüche …“
„Ein etwas müdes und pessimistisches Europa, das sich durch die Neuheiten, die von den anderen Kontinenten kommen, belagert fühlt. Wir können Europa fragen: Wo ist deine Kraft? Wo ist jenes geistige Streben, das deine Geschichte belebt hat und durch das sie Bedeutung erlangte? Wo ist dein Geist wissbegieriger Unternehmungslust? Wo ist dein Durst nach Wahrheit, den du der Welt bisher mit Leidenschaft vermittelt hast?“
Die christliche Sicht. „Aus christlicher Sicht sind Vernunft und Glaube, Religion und Gesellschaft berufen, einander zu erhellen, indem sie sich gegenseitig unterstützen und, falls nötig, sich wechselseitig von den ideologischen Extremismen läutern, in die sie fallen können. Die gesamte europäische Gesellschaft kann aus einer neu belebten Verbindung zwischen den beiden Bereichen nur Nutzen ziehen, sei es, um einem religiösen Fundamentalismus entgegenzuwirken, der vor allem ein Feind Gottes ist, sei es, um einer ,beschränkten‘ Vernunft
abzuhelfen, die dem Menschen nicht zur Ehre
gereicht …“ 

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Tiroler Sonntag - Aktuell