Die Kraft der Berge

Ludwig Lau liebt die Berge. Ihre Erhabenheit und ihre Kraft erlebt er als sehr meditativ. Seit 15 Jahren bietet der Pastoralreferent der Diözese Augsburg Bergexerzitien in Österreich, Südtirol, der Schweiz und in Deutschland an.

 

SUSANNE HUBER

 

Aus dem Alltag heraustreten. In die Bergwelt eintauchen. Ruhe und Stille für sich gewinnen. Mit sich selber in Berührung kommen. Das eigene Leben reflektieren. Für Ludwig Lau sind die Berge ideale Orte, um eine spirituelle Auszeit zu nehmen. „Wenn ich in Stille in den Bergen unterwegs bin, können so viele Gedanken kommen, gehen, sich setzen. Das ist sehr meditativ und tut einfach gut. Es geht nicht darum, etwas abzuleisten und möglichst viel Strecke zu machen, sondern darum, innerlich aufzutanken, für sich da zu sein, sich auch fallen lassen zu dürfen. Das sind ganz wertvolle Erfahrungen. Wenn man das immer wieder einübt, gibt das Kraft, Stärke und Gelassenheit für den Lebensalltag und in Krisensituationen; und es erwächst daraus Mut, Dinge wieder neu zu überdenken und zu erkennen, was einem im Leben wichtig ist.“

 

Klöster in den Bergen. Wenn sich Ludwig Lau mit einer Gruppe bis maximal 15 Leuten auf den Weg macht, ist er meistens vier, fünf Tage unterwegs. Als festes Quartier bevorzugt er Klöster in den Bergen, da sie eine große spirituelle Ausstrahlung haben. „Ein Lieblingsort von mir ist das Kloster Maria Waldrast in den Stubaier Alpen. Das ist wunderbar gelegen, auf 1600 Meter Höhe. Da gibt es viele Möglichkeiten der Meditation“, sagt der Theologe. Den Teilnehmern, die keinen religiösen Bezug haben, werden die religiösen Riten nicht übergestülpt. „Es gibt Freiräume, die jemand wahrnehmen kann oder auch nicht. So fühlen sich die Leute nicht unter Druck gesetzt. Bei einem Kloster bietet sich das an. Wer mag, kann zum Beispiel am Morgenlob der Mönche teilnehmen. Das ist eine gute Ergänzung und jeder kann selber entscheiden, ob er das möchte.“

 

Impulse geben. Die unterschiedlichsten Themen brechen in den Menschen auf, wenn sie sich in Bewegung setzen, erzählt Ludwig Lau. Über die Gedanken, die hochkommen, gibt es die Möglichkeit, mit ihm zu sprechen – in den Wanderpausen oder am Abend. „Das ist kein Muss und findet auch nicht in der Gruppe statt. Ich gebe darüber hinaus immer wieder Impulse, mit denen sich die Teilnehmer auseinandersetzen können, wenn sie wollen.“ Die Anstöße und Anregungen zur Reflexion sind vielfältig. Wie bin ich unterwegs? Fällt es mir als schneller Wanderer leicht, mich auf Langsamere einzulassen, ohne ungeduldig zu werden? Kann ich, wenn ich spüre, dass ich nicht so mitkomme, das auch äußern, oder fühle ich mich unter Druck gesetzt? Traue ich mich zu sagen, was mich beschäftigt, was mich bewegt? „Die Erfahrungen, die in den Bergen gemacht werden, spiegeln sich oft im Leben wider“, sagt der Pastoralreferent. 

 

Rucksack. Laut Ludwig Laus Wahrnehmung gibt die Art und Weise, wie jemand seinen Rucksack packt, Einblicke über den Charakter eines Menschen. „Manche packen ihn ganz voll, möchten für alle Situationen gerüstet und abgesichert sein. Andere sind sparsamer, verzichten darauf, einen Anorak einzupacken und vertrauen, dass es keinen Regen geben wird. Das sollen keine Bewertungen sein, sondern es geht um eine Selbstbewusstwerdung. Wer bin ich? Möchte ich in dem einen oder anderen Bereich etwas ändern?“ 

 

Pausen und Wegweiser. Ein anderes Thema sind Pausen. „In den Bergen merke ich, dass ich irgendwann einmal außer Puste bin. Wie gehe ich mit den Pausen in meinem Alltagsleben um? Merke ich da auch, dass ich Pausen brauche? Oder versuche ich mich durchzuwursteln?“ Bei allem, was ich erlebe, können Rückschlüsse gemacht werden. „Wegweiser deuten darauf hin, dass ich mich entscheiden muss. Manchmal merke ich, der eingeschlagene Weg ist doch nicht optimal für mich, weil er entweder zu steil ist oder zu gefährlich und ich umkehren und einen anderen Weg gehen sollte. So ist es im Alltagsleben auch oft. Wenn ich auf dem Holzweg bin, gehe ich zurück und entscheide mich für einen neuen Weg. Oder was tu ich, wenn das Wetter schlecht wird und ich kurz vor dem Gipfel bin? Da ist die große Frage, bin ich ehrgeizig, will ich das jetzt durchziehen trotz Gewittergefahr? Oder nicht? Es gibt ganz viele Dinge in den Bergen, die einem immer wieder bewusst werden lassen, wer man selber ist.“ 

Still werden. Ganz zentral ist für Ludwig Lau, in den Bergen still zu werden. „Die großen Dinge sieht man dann, wenn man nicht durch die Gegend rast, sondern wenn man sich Zeit lässt und achtsam ist. Wer sich bückt, findet Gott. Wer eine kleine Blume am Wegesrand betrachtet, sieht, wie wunderbar sie gestaltet ist; wenn man sich ans Wasser hockt und bewusst dem Wasserlauf zuschaut, dann tut das innerlich gut.“ Bewusst die Dinge in der Gegenwart um einen herum wahrzunehmen könne eine große Hilfe sein, besser durch den Alltag zu kommen. 

 

Schweigen. Privat nimmt sich der Theologe auch gerne alleine eine spirituelle Zeit in den Bergen, um nicht durch das miteinander Reden abgelenkt zu werden. Es kommt aber auch vor, dass er mit anderen zusammen Bergtou­ren macht, wo ganz bewusst vereinbart wird, eine gewisse Zeit „in Stille und Schweigen zu laufen. Mit anderen gemeinsam unterwegs zu sein, ohne dass ständig das Mundwerk offen sein muss, ist eine schöne Erfahrung.“

 

Dieser Artikel erschien im Tiroler Sonntag Nr. 32/33 vom 10. August 2017

Die Dolomiten in Südtirol
Gerald Huber