Woran junge Menschen glauben

Eine halbe Million Jugendliche aus 200 Ländern nehmen am Weltjugendtag in Madrid teil, 130 Jugendliche sind aus Tirol. An wen glauben Österreichs Jugendliche - und wie glauben sie? Darüber spricht Jugendforscherin Regina Polak im Interview für den T...

Eine halbe Million Jugendliche aus 200 Ländern nehmen  am Weltjugendtag in Madrid teil, 130 Jugendliche sind aus Tirol. An wen glauben Österreichs Jugendliche - und wie glauben sie? Darüber spricht Jugendforscherin Regina Polak im Interview für den Tiroler Sonntag. 

69 Prozent der Jugendlichen in Österreich glauben an Gott. Das sind deutlich mehr als noch vor zehn Jahren (s. Grafik). Die Zahl derer, die sagen, dass Religion in ihrem Leben „sehr wichtig“ ist, hat sich seit dem Jahr 2000 verdoppelt. Zu den „Heiligtümern“ im Leben der Jugendlichen zählen Religion und Glaube dennoch nicht. In der Skala der wichtigen Dinge im Leben nehmen Familie, Beziehung, Freundschaft, Schule und Arbeit die Top­­plätze ein; mit 11 Prozent spielt Religion in der „unteren Liga“ mit, gerade noch vor der Politik. Da passt auch dazu, dass sich nicht einmal die Hälfte der Jugendlichen, die „an Gott glauben“, selber für „religiös“ hält.
Glaube und Praxis.
„Wir haben es heute (nicht nur, aber besonders) bei jungen Menschen zunehmend mit einem Glauben zu tun, der sich immer mehr von der religiösen Praxis abkoppelt“, sagt die Wiener Pastoraltheologin und Jugendforscherin Regina Polak. „Gott hängt quasi in der Luft, Glaube wird zu einer abstrakten Weltanschauung, die für mein konkretes Leben wenig bedeutsam ist.“ Überspitzt ausgedrückt könnte man sagen: Jugendliche haben mehrheitlich einen „religions­losen Glauben“, denn Religion ist zuerst eine Praxis – und nicht eine Weltanschauung.
Zeichen einer Krise. Die oben erwähnte Zunahme von „Gottesglaube“ führt Polak auf das gestiegene „öffentliche Interesse“ an religiösen Fragen (z. B. Islamdiskussion) sowie auf wachsende Verunsicherungen und Zukunftsängste zurück. Eine gewisse Rolle spielt vielleicht auch die Tatsache, dass für viele Jugendliche Religion schon fast etwas „Exo­tisches“ ist und daher an Reiz gewinnt. Die im Gesamtbild von „Jugendglauben“ viel relevantere Verwandlung von „Religiosität“ in
eine Art Weltanschauung mit einem für das eigene Leben bedeutungslosen Gott verweist, so Polak, „auf eine manifeste Praxiskrise der Kirchen“ und auf eine „Gerechtigkeitskrise der Gesellschaft. Der Mangel an konkreten Orten gelebter Religiosität und die – oft ohnmächtige – Erfahrung junger Menschen von Ungerechtigkeit in Schule, Arbeit, Gesellschaft oder Politik prägen deren subjektive Religiositäten.“ Beides stelle nicht nur für die kirchliche Jugendarbeit, sondern für die Kirchen insgesamt eine Anfrage und Herausforderung dar, die „nicht ernst genug genommen werden kann“, meint Polak.
Die Jugend: unsere Gegenwart. Die Politik, aber auch die Kirche spricht gerne davon, dass die „Jugend unsere Zukunft ist“. „Nein!“, sagt Regina Polak: „Die Jugend ist unsere Gegenwart. Ihr Leben heute verdient unser Interesse, unsere Anteilnahme, unser Mitgehen. Ihre Fragen heute verdienen unsere Aufmerksamkeit. Ihr Suchen heute braucht unsere Offenheit jetzt – und auch unser Zeugnis als Christinnen und Christen.“ Sie habe den Eindruck, so Polak, dass es im
öffentlichen Diskurs nur selten und dann meist sehr oberflächlich um das Wohl der Kinder und Jugendlichen geht, sondern dass man hier vor allem die  ,Humanressource‘ sieht, den auf bestmögliche Weise für den Arbeitsmarkt aufzubereitenden Rohstoff. Auch in der Kirche würden Kinder und Jugendliche oft nicht um ihrer selbst willen geschätzt, sondern als moralischer Gradmesser für die „christliche Ehe“ oder auch als demografische Keule instrumentalisiert.
Keine großen Rezepte.
Die „Lehren“, die Polak aus der Jugendwertestudie für die kirchliche Jugendarbeit zieht, sind „nicht so sen­sationell“. Neu sei vielleicht, dass man heute mehr probieren müsse, ohne Garantie, dass die Projekte auch gelingen, dass man dort, wo explizit religiöse Themen angesprochen werden, sehr niederschwellig und elementar ansetzen müsse. Nicht neu, aber zugespitzt hat sich die   Herausforderung, dass die Kirchenleitung eine umfassende Option für die Jugend treffen müsse – oder diese sich weiter verabschiedet.
Nachgehen.
Zur konkreten Jugendarbeit meint Polak: „Wir brauchen eine nachgehende, aufsuchende Pastoral. Wir müssen die Lebenswelten der Jugendlichen kennen lernen, wir müssen mit ihnen schauen, was sie brauchen, was sie bewegt, wo ihre Fragen und Bedürfnisse sind. Wir müssen quasi mit ihnen in ihr Leben eintauchen. Projekte, die in diese Richtung zielen, haben gute Chancen, aber keine  Garantie“, meint Polak. Sicher aber sei, dass die Zeiten, wo man Jugendliche nur in den eigenen (kirchlichen) Binnenraum ein­zuladen braucht, damit sie auch kommen, vorbei sind; das funktioniere nur noch für einen kleinen Teil, meint Polak.
Überzeugen.
Zu einer nachgehenden Pastoral gehöre auch, dass Jugendliche Menschen und Orte kennen lernen, an denen sie erfahren können, dass Glaube etwas mit dem konkreten Leben zu tun hat, dass  Glaube, Kirchgang und Sonntag mehr sind als ein beschaulicher Überbau, ein „Sahnehäubchen“ zum Versüßen. „Das bedeutet aber“, so Polak, „dass wir eine Selbsterneuerung der Kirche  brauchen. Ein Zurück zu den biblischen Wurzeln, eine Besinnung darauf, dass eine Kirche, die nicht dient, zu nichts dient. Das ist eine Anfrage an das ganze Volk Gottes“, meint Polak. „Haben wir genug Christinnen und Christen in unserem Land, an denen man sieht, es ist nicht egal, ob man glaubt oder nicht; an denen man sieht, Glaubende gehen anders mit Mitmenschen um, anders mit Konflikten, anders auch mit Geld oder mit der Umwelt. Wenn junge Leute Orte der Gerechtigkeit und Orte der Gottesnähe erleben können, dann, so zeigen gelungene Projekte eindrucksvoll, lassen sie sich durchaus ansprechen“, meint Polak. Wenn Karl Rahner die Zukunft der Kirche als eine  mystische und politische beschreibt, dann gelte das in besonderem Maß für die Jugendarbeit. In sozial-spirituellen Projekten sieht Polak besondere „Lernfelder“ des Glaubens für Jugendliche.
Wandel.
Es müssten aber auch die „Signale“ von oben stimmen, meint Polak. Sie wünscht sich eine Kirchenleitung, die sich öffentlich für die Jugend und ihre Anliegen stark macht, die sich der Sorgen und Ängste der Jugend­lichen im Bereich der Arbeit, der Ausbildung oder des Klimas annimmt, die allen Jugend­lichen – und nicht nur den besonders brav angepassten – Offenheit und  Gesprächsinteresse signalisiert. Dabei gehe es nicht um eine Taktik, sondern um einen „Wandel in der Kirche“, meint Polak. Die Kirche in Österreich habe nicht nur in den vergangenen 20 Jahren ein Glaubwürdigkeitsproblem angehäuft. Die Jahrhunderte andauernde repressive Moralverkündigung gepaart mit politischem Einfluss und sozialer Macht (wer nicht dazu­gehört ist Außenseiter) habe sich im „kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung“ ein­gebrannt. Das sitze tief in den Gliedern und werde gerade in einer „freiheitsverliebten“ Gesellschaft besonders stark abgelehnt. „Die Jugend folgt dabei nur den Pfaden ihrer Eltern“, ist Polak überzeugt. Deshalb ist die „Selbsterneuerung“ der Kirche nicht nur eine Frage der Jugendpastoral. Da aber sitzt ein besonders „kritisches“ Publikum.
  

Buchtipp: Christian Friesl, Ingrid Kromer, Regina Polak (Hg.)
Lieben –  Leisten –  Hoffen. Die Wertewelt junger Menschen in Österreich.
Czernin-Verlag, 2008, 20 Euro. 

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Tiroler Sonntag - Die Zeitung der Diözese Innsbruck