Trauriger Portiunkulasonntag 2014

Ludwig Wiedemayr schreibt über den 1. August 2014, als in vielen Osttiroler Gemeinden die Einberufungsbefehle zugestellt wurden und viele Männer bereits am Tag darauf in den Krieg ziehen mussten.

Wenn auch vom 1. Weltkrieg das ganze Land und alle Bevölkerungsschichten betroffen waren, so wurden neben der Südtiroler Front nur wenige Gemeinden des heutigen Tirol ab Mai 1915 unmittelbares Frontgebiet: die südlichen Grenzgemeinden Osttirols – Hollbruck, Kartitsch, Obertilliach und Untertilliach mit der Kriegsfront auf den Höhen des Karnischen Kamms.

Von Ludwig Wiedemayr 

Damit wurden diese Orte des Gail- und Lesachtales und besonders Kartitsch Sitz verschiedener Militärkommandos. Von dort aus erfolgte der Aufmarsch zur Frontlinie, die Menschen waren direkt mit der Grausamkeit des Kriegsgeschehens konfrontiert. Nur wenige Kilometer oberhalb des Siedlungsraumes wurde gekämpft, gelitten und gestorben.
Besser als in vielen vergleichbaren Orten sind in der späteren Kriegsfrontgemeinde Kartitsch die Ereignisse um den Kriegsbeginn von 1914 gut dokumentiert. Während in Innsbruck, aber auch in einigen Bezirksstädten und größeren Orten Tirols die Entscheidung zum Krieg mit Umzügen euphorisch gefeiert wurde, herrschte hier wie in vielen kleineren Landgemeinden gedämpfte Stimmung und Sorge um eine ungewisse Zukunft. Am 1. August wurden die Einberufungsbefehle zugestellt und bereits am nächsten Tag, dem Portiunkula-Sonntag, mussten allein von Hollbruck und Kartitsch rund 100 Burschen und Männer in den Krieg marschieren, etwa 30 davon Familienväter. 

So blieb noch viel zu erledigen an diesem Samstagabend. Männer mussten Abschied nehmen von Gattin und Kindern, mit dem Großvater oder älteren Knecht war die notwendigste Feldarbeit zu regeln, auch Dienste und Schuldigkeiten waren zu begleichen. Die allermeisten von ihnen wollten aber auch mit dem Herrgott ins Reine kommen. Der damals 14-jährige spätere Schriftsteller Oswald Sint schrieb: „Mancher junge Mann suchte noch seine Verlobte auf, mancher Bursch verabschiedete sich von seinem Mädchen. Jahrelange Zwistigkeiten unter Nachbarn wurden bereinigt. Sie gaben sich zum Abschied die Hände und sprachen miteinander, was sie schon lange nicht mehr getan hatten“ (Oswald Sint: Buibm u. Gitschn beinando ist ka Zoig).

Am Sonntag, 2. August (Ablasstag), besuchten die einrückenden Soldaten die Frühmesse, bei der noch viele zu den Sakramenten gingen, soweit sie nicht bereits am Vorabend zur Beichte die Kirche aufgesucht hatten. Anschließend wurden sie vom alten, bereits kränklichen Pfarrer verabschiedet und gesegnet. Seine Abschiedsworte erstickten jedoch in seinem Schmerz. Oswald Sint erinnert sich an Hans, den jüngsten der Einrückenden. Unter Tränen hat er soeben von seiner Mutter Abschied genommen. Er war der sechste Sohn der Familie, der an diesem Tag in den Krieg marschieren musste, bereits ab Ende September galt er als vermisst. Der Abschied war hart und traurig – und für allzu viele für immer.
Schließlich wurden die Einrückenden mit klingendem Spiel der noch verbliebenen Musikanten durch das Tal hinaus begleitet, während die Glocken zum Hochamt läuteten.
Und während „Reimmichl“ Sebastian Rieger im „Tiroler Volksboten“, der damals bedeutendsten Zeitung für die Landbevölkerung, am 7. August 1914 in einem Leitartikel den nun begonnenen Krieg als heilig und gerecht bezeichnete, musste er auch feststellen, dass zum Jubel der letzten Wochen nun auch Trauer eingekehrt sei: „Selten oder nie hat das Land soviele Tränen gesehen wie in diesen Tagen“. 

Bis zum Kriegsende mussten von Hollbruck und Kartitsch 229 Burschen und Männer in den Krieg ziehen, rund 70 Prozent der männlichen Einwohner zwischen 14 und 70 Jahren. 42 kehrten nicht mehr heim. Die vier Kriegsfrontgemeinden Untertilliach, Obertilliach und Kartitsch mit Hollbruck (rund 1.850 Einwohner) mussten 112 Gefallene und Vermisste beklagen, dazu noch einige durch die Wirrnisse der Militärbelagerung tödlich Verunglückte.

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Tiroler Sonntag - Aktuell