Seminar mit Wasserschläuchen bewacht

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Österreichs älteste akademische Verbindung ist die „Helvetia Oenipontana”. Von 13. bis 16. Mai feiert sie in Innsbruck ihr 150. Stiftungsfest. Besonders enge Verbindungen pflegte die Verbindung mit dem Priesterseminar Canisianum. Im folgenden Beitrag erinnert sich ein Mitglied der Verbindung an das Leben im Seminar und die Verfolgung durch die NS-Herrschaft. 

Von Jean-Marie Salzmann 

Am 13. März 1938, am Tag des Anschlusses von Österreich, saßen wir Priesterseminaristen des Innsbrucker Canisianums auf Geheiss von P. Regens Michael Hofmann um 20 Uhr am Radio, um eine gewichtige Ansprache des österreichischen Bundeskanzlers Dr. Kurt Schuschnigg anzuhören. Schon um 22 Uhr marschierten deutsche Truppen der nationalsozialistischen Ära in Innsbruck ein und besetzten neben dem Canisianum das Haus einer höheren Mädchenschule. Rund 80 Mann umkreisten singend und schreiend unser Konvikt. Im Sprechchor tönte es: „Nieder mit den schwarzen Schweinen“. Selbst die grünen Wellen des Inn schienen bei einer solch schwarzen Begrüssung vor Scham zu erröten.
Zeit der Bedrängnis. Das war wohl einer der schmerzlichsten Augenblicke des Canisianums. Für uns Studierenden brach eine äußerst schwierige, unruhige, unsichere und gefährliche Studienzeit an ... Am 13. März 1938 bat uns P. Regens, möglichst Ruhe zu bewahren, die Koffer bereitzustellen, mutig und Gott vertrauend der kommenden, ungewissen Dinge zu harren. Am 14. März wollten wir wie üblich zu den Vorlesungen auf die theologische Fakultät. Doch die Haupttüre war versperrt. Junge, etwas unheimliche Burschen mit Hakenkreuzbinde um den Arm und Maschinenrevolvern bewaffnet, hielten Wache. In den kleinen Sprechzimmern wurden P. Regens Hofmann, P. Michael Gatterer u.a. Verhören unterzogen. Ich versuchte noch, mich einem solchen Burschen zu nähern mit der Bemerkung: „Wir sind freie Schweizer. Mit dieser Methode machen wir Ihnen in der Schweiz keine grosse Propaganda.“ Seine Antwort: Er hält mir die Maschinenpistole an die Brust mit der Bemerkung: „Schweigen Sie, oder …“
Blockwart im Priesterseminar. Später vernahmen wir, dass diese Burschen erst in dieser Nacht aus politischen Gefängnissen befreit wurden. Bedrückt und verunsichert zogen wir uns auf unsere Zimmer zurück. Unglaubliche Gerüchte am laufenden Band huschten durch unsere Korridore und Zimmer, tosende Lautsprecher erfüllten die Räume, Strassen und Plätze, Sturzkampfflugzeuge (Stukas) sausten Lärm betäubend über die Dächer, stiegen senkrecht auf und ab, um alles einzuschüchtern. Zeitungen, Zeitschriften, Radio verbreiteten nur die eine Meinung der Nationalsozialisten. In unserem Haus wirkte ein „Blockwart“ (Berichterstatter mit Schreibblock in der Hand, um all unsere Gespräche und Bewegungen an die Partei weiterzumelden). Als Post in die Heimat waren nur offene Karten gestattet. Wo zwei oder drei versammelt waren, da waren gleich mehrere „Häscher“ mit dem Wörterbuch in der Hand, um unsere Gespräche zu entziffern. Die Gleichschaltung war perfekt!
Beschnittene Freiheiten. Unsere Freiheit wurde arg beschnitten. Auf dem Weg zur theologischen Fakultät wurden wir mit kleinen Hakenkreuzfähnchen wie mit Konfetti beschert. An allen Straßenecken und Plätzen waren Hakenkreuzfahnen aufgepflanzt und von Soldaten bewacht. Alle Vorüberziehenden mussten die Hand zum Hitlergruss erheben; selbst Ausländer wurden dazu gezwungen ... Unsere geistlichen Professoren mussten gar zu Beginn der Vorlesung auf der theologischen Fakultät die Hand zum Hitlergruss erheben. Ich erinnere mich, wie das der bekannte Moralprofessor Schmidt elegant gelöst hat: Er erhob den rechten Arm zu Beginn der Vorlesung mit den Worten: „In nomine Patris et Filii et Spiritus sancti. Amen.“
Unser Schweizer Professor für Neues Testament, P. Paul Gächter aus St. Gallen, hatte die Situation rechtzeitig erfasst und ist kurzerhand in Indien gelandet. Zu viele Witze hatte er wohl vorher über das Nazitum gerissen!
Auf der Heimreise im Herbst 1938. Freilich ging noch allerlei voraus in Innsbruck und auf dem Brenner: Verhöre und Schikanen (die Seminaristen des Canisianum fanden in der Diözese Sitten in der Schweiz ein neues Zuhause). Über drei Wochen hielten sich die Konviktoren noch im Canisianum, hielten Wache mit Feuerwehrschläuchen und dergleichen. Aber sie mussten einsehen, dass eine solche Verteidigung nicht von Dauer sein konnte. Nachdem Erzbischof Dr. Waitz von Salzburg noch den neuen Bischof von Innsbruck weihte, zogen die Canisianer in drei Etappen über den Brenner nach Sitten ... 

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Seminar mit Wasserschläuchen bewacht