Selig, die um meinetwillen verfolgt werden

Bischof Manfred Scheuer hat bei der feierlichen Seligsprechung von Provikar Carl Lampert die Predigt gehalten. Der TIROLER SONNTAG dokumentiert den Text im Wortlaut.

Selig die um meinetwillen verfolgt werden

Predigt von Bischof Manfred Scheuer bei der Seligsprechung von Carl Lampert in der Stadtpfarrkirche Dornbirn am 13. November 2011

„Warum müssen gerade Sie mit Ihren Fähigkeiten und Talenten, mit Ihrem angenehmen Äußeren dieser Schwindelreligion anhangen und den Beruf eines Sau-Pfaffen ergreifen! So Kommissar Trettin in Stettin zu Carl Lampert. Er hätte frei gehen können, wenn er den Talar ausgezogen und aus der Kirche ausgetreten wäre. - Weder mit der Erinnerung an Provikar Lampert noch mit seiner Seligsprechung tun sich manche leicht. Er war ein Mann der Kirche und der kirchlichen Hierarchie noch dazu. Beide stehen in den Skalen der Beliebtheit nicht ganz oben. Und er war ein Mann des Rechts und des Kirchenrechts, deren humane und seelsorgliche Bedeutung auch nicht so leicht zu vermitteln ist. Beide Bereiche – Recht und Kirche – stehen teilweise im Zwielicht. Carl Lampert hat sich vor 70 Jahren dem widersetzt, was heute unter anderen Vorzeichen schleichend passiert: Auflösung von Klöstern, Aussterben von Ordensgemeinschaften, Marginalisierung der Kirche, Verachtung der Priester und der Religion.

Die Seligsprechung mit der Erinnerung an Carl Lampert steht heute im Kontext von Dankbarkeit oder Empörung, Freundschaft oder Gleichgültigkeit, Resignation oder Hoffnung, Hass oder Verzeihen, Freude oder Bitterkeit, Selbstrechtfertigung oder Anklage. In die Erinnerung mischen sich die Frage nach Gerechtigkeit, der Versuch Recht zu haben und Recht zu bekommen, aber auch der Wille zur Macht und die Erfahrung von Ohnmacht. Welche Rolle nehmen wir gegenwärtig in der Gesellschaft und auch in der Kirche ein:Opfer, Richter, Täter, Angeklagte, Verstrickte, Schuldige, Zuschauer, Beschämte oder Anwälte? Wir sind nicht automatisch in einem großen Wir-Gefühl mit dem seligen Provikar eins, er ist nicht einfach der „Unsrige“ oder „einer von uns“. Das geht nicht ohne Umkehr und ohne Reinigung des Gedächtnisses. Wir können uns nicht arrogant gegenüber den „Bösen“ der Vergangenheit erheben, denn die Bosheit schleicht sich auch heute in der Gestalt der Wohltat ein und Menschenverachtung nistet sich in den Feldern der Gewohnheit. Die Seligsprechung von Provikar Carl Lampert ist Krisis, Gericht für gegenwärtige Lebens- und Glaubensstile. Eine allzu schnelle Vertrautheit mit Lampert stünde in Gefahr der Vereinnahmung und Neutralisierung, oder auch der Verkitschung und Verhübschung, wie es bei gar nicht so wenigen beliebten Heiligen der Fall ist. Carl Lampert lässt sich nicht einfach bewundern, ohne zugleich die Frage an das eigene Leben zu richten: Und was ist mit dir? Deine Sache wird hier abgehandelt, um deine Motive geht es hier, dein Gott steht zur Debatte! Wie hältst du es mit den Opfern? Wie ernsthaft stellt sich die Frage, ob es in deinem Leben etwas gibt, das groß genug ist, um dafür zu sterben?

Provikar Carl Lampert wird durch die Seligsprechung nicht so hoch erhoben, dass gewöhnliche Menschen in ihrer Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit resignieren müssten. Eine Seligsprechung ist nicht in der Logik von Neid und Konkurrenz, von Sieg und Niederlage, von Aufwertung und Abwertung zu verstehen. Es geht nicht um ein Siegesgeheul der einen, es geht auch nicht um das endgültige Vergessen der anderen Opfer von damals, nicht um die Auslöschung der Erinnerung an jene, die einen anderen Weg gegangen sind. Selige und Heilige gehen gerade auf jene zu, die sich in der eigenen Vergangenheit verstricken, die nicht von der eigenen Selbstrechtfertigung oder auch von ihrer Schuld loskommen. Die Seligsprechung von Carl Lampert ist nur unter dem Vorzeichen des Verzeihens, der Versöhnung, der Entgiftung und der Entfeindung recht zu verstehen. Carl Lampert hat seinen Feinden und Mördern verziehen, wie uns sein Bruder Julius berichtet: „Der Herrgott möge meinen Feinden verzeihen!“ Und noch in der Todesstunde hat er seinen Henkern verziehen. Carl Lampert hat die Seligpreisungen Jesu in seine Zeit übersetzt. Die Seligsprechung von ihm soll die Seligpreisungen in unsere Zeit übersetzen.

Die Seligpreisungen spiegeln das Antlitz Jesu 

„Die Seligpreisungen spiegeln das Antlitz Jesu und seine Liebe.“ Wir haben von Jesus kein authentisches Bild, kein Foto, keine Filmaufnahmen, keine handschriftlichen Dokumente, keine Unterschrift, keinen genetischen Code, aber: Die Seligpreisungen spiegeln das Antlitz, das Gesicht, die Identität Jesu, sie stehen im Herzen der Predigt Jesu. Dieses Antlitz Jesu vermittelt, wer Gott für uns Menschen ist. Jesu Blick auf die Menschen bleibt nicht an der geschminkten, geschönten oder gestylten Oberfläche stehen. Jesu Blick geht in die Tiefe, ins Herz; er vermittelt Würde, Zuwendung, Leben und Hoffnung. In Jesus, in seinen Seligpreisungen schreibt Gott das Hoheitszeichen seiner Liebe und Würde auf die Stirn eines jeden Menschen. Der selige Carl Lampert ist ein von Jesus Angesprochener und Angeschauter. Dieses Ansehen ist der Grund für sein Selbstbewusstsein, ist die Quelle seiner Kraft des Widerstands, ist die Basis für sein Durchhalten in der Folter, für seine Treue in Leiden und Tod. Der Provikar hat die Seligpreisungen in die Zeit der Gott und Menschen verachtenden Barbarei und der abgrundtiefen Dämonie übersetzt: „Der Zeiten Dunkel und Möglichkeiten lassen uns keineswegs beneidenswerte Zeitgenossen mit allem rechnen; gut ist nur, dass im dunklen Zeitenbild ein unzerstörbar helles Licht leuchtet, Gottes Vorsehung und Vaterliebe, in ihr sind wir trotz allem wohl geborgen – ich weiß und erlebe es!“ (Aus einem Brief an Alfons Rigger vom 14. Juli 1942)

„Selig, die um der Gerechtigkeit willen, selig, die um meinetwillen verfolgt werden.“ (Mt 5, 10f.) Carl Lampert ist für die Rechte der Kirche eingetreten in einer Zeit, in der das Recht gebeugt wurde, in Zeiten, in denen Menschenrechte durch das Recht des Stärkeren ersetzt wurden, in denen Mord, Einschüchterung, Deportation, Internierung und Ausmerzung von Behinderten, sozial Minderwertigen, Juden und minderwertigen Rassen zum Alttagsgeschäft gehörten. Der nationalsozialistische Staat hatte den Rechtsstaat fundamental pervertiert. Der Staat und das organisierte Verbrechen waren identisch geworden. Und deshalb hatten die Nazis für Lampert jeden Rechtsanspruch verloren.[5]Und er ist selbst Opfer des Unrechts, der Tyrannei und der Willkür geworden. Lampert wurde furchtbar gefoltert, fünfmal mit „Ochsenziemern“ unmenschlich geschlagen: Essensentzug, kein Wasser drei Tage lang, Misshandlungen, Drohungen, Versprechungen für den Fall des Austritts aus der Kirche. Und er beklagt das Unrecht, das ihm widerfährt: „Trotz dieses wirklichen Tatbestands wurde ich am 8. September 1944 zum Tode etc. verurteilt, „weil Hagen „glaubwürdig“ (!) und ich nicht glaubwürdig sei! – Jeglicher andere Beweis fehlte!! Sic justitia!!!!! [=So ist die Gerechtigkeit]“ Lampert ist wegen seines Eintretens für Recht und Gerechtigkeit willen verfolgt und hingereichtet worden.

In den Seligpreisungen spricht sich der Weitblick Gottes aus. „Bei der Verhandlung wurde er unter anderem auch gefragt, welches Werk er höher schätze, das Evangelium oder das Buch ,Mein Kampf’? Darauf gab er folgende Antwort: Das Evangelium ist das Wort Gottes und verkündet die Liebe. Das Buch des Herrn Hitler ist das Werk eines Menschen und predigt nur den Hass.“ (Aus einem Brief von Provikar Carl Lampert an Alfons Rigger vom 29. Oktober 1944) Menschenwürde, Humanität war für Hitler nur eine Wunschvorstellung, ein Phantasiegebilde, eine Fiktion, die der Mensch sich selbst wie blauen Dunst vormacht, während es im wirklichen Leben keine Sittlichkeit gibt und geben könne. Das wirkliche Leben ist für Hitler das Leben, wie es „die Natur kennt",und er meint, das wäre das erbarmungslose Fressen und Gefressenwerden, die gegenseitige Vernichtung auf Tod und Leben. Das Christentum sei, so Hitler, der erste geistige Terror und würde konsequent angewandt zur Züchtung des Minderwertigen führen. Es missachte mit Milde, Versöhnung und Barmherzigkeit das gottgegebene und wissenschaftlich bestätigte Grundgesetz vom Kampf als dem Vater aller Dinge. Hitler sah „soziale Tugend und Nächstenliebe als wandelnde Pestilenz.“ (Mein Kampf) Carl Lampert hingegen am Allerseelentag 1944, also kurz vor seiner Hinrichtung: „Was sagst Du mir – Allerseelentag 1944!? – Stell auf den Tisch die duftenden Reseden, flicht auch blühende Zyanen hinein und lass uns von der Liebe reden, wie einst im Mai!“ Liebe, - wie leidest Du in dem Hass dieser Zeit! Hass der Zeit, wie quälst Du die Liebe der Ewigkeit!!“ Mit der Seligsprechung von Carl Lampert drückt die Kirche ihre Glaubensüberzeugung aus, dass die Armen nicht in alle Ewigkeit arm, die Erschlagenen nicht ein für allemal erschlagen, die Vergessenen nicht für immer vergessen, die Opfer nicht für immer besiegt, die Toten nicht in alle Ewigkeit tot sind. Wenn die Hinrichtung von Carl Lampert das letzte Wort hätte, dann würde das Unrecht inthronisiert und der Tod als absoluter Herr eingesetzt. Eine Hoffnung für die Armen der Gegenwart, für die Erschlagenen, für die Opfer und die Toten der Vergangenheit lässt sich nur in der Hoffnung auf Gott durchhalten, der mit diesen etwas anfangen kann.

Die Seligpreisungen sind in die offenen oder subtilen Auseinandersetzungen von Gewalt und Gewaltlosigkeit, von Unterdrückung oder Gerechtigkeit, von Lüge oder Wahrheit auf das Ende, auf die Vollendung hin gesprochen. Sie sind alles andere als Ausdruck von Resignation und Lähmung. In den Seligpreisungen fügt Jesus das Zerschlagene und die Zerschlagenen zusammen, holt er die Verlorenen heim, macht er die Kapputten lebendig, trocknet er die Tränen, gibt er den Toten Hoffnung.In den Seligpreisungen wird den Verfolgten von Jesus eine letzte Hoffnung, Leben, Sinn und Glück zugesagt.Insofern sind die Seligpreisungen eine „Magna charta“ gegen die Resignation und gegen die Hoffnungslosigkeit. In den Seligpreisungen werden scheinbar unvermeidliche geltende Sachzwänge nach vorne, auf das Glück in Gott hin aufgebrochen werden. Gegen den Tod und gegen tödliche Mächte bezeugen sie Gott als den schöpferischen Ursprung des Lebens. Im Lichte von Tod und Auferstehung wird die Hoffnung frei gesetzt, dass uns am Ende nicht das Nichts erwartet, sondern die schöpferische Liebe dessen, der uns erschaffen hat. Die Evangelien setzen darauf, dass Tod und Auferstehung Jesu mitnehmen in ein neues Leben. Jesus ist Hoffnungsträger schlechthin für dieses Mitgenommen-Werden in das neue Leben, wie es sich in den Seligpreisungen konkretisiert. „Semen est sanguis Christianorum. – Ein Same ist das Blut der Christen“ (Tertullian)

Manfred Scheuer, Bischof von Innsbruck 

www.dibk.at/lampert 

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