Salz und Licht im ganz normalen Wahnsinn

Hermann Glettler erzählt im Interview mit der Kirchenzeitung der Diözese Graz, wie die Ernennung zum Bischof von Innsbruck zu einer Glaubenserfahrung wurde und welche Bedeutung er der Politik im Leben der Kirche beimisst.

Freuen Sie sich auf die Tiroler?  

Hermann Glettler: Ja, die Freude auf die Begegnung mit den Menschen ist groß. Die Freude auf das Bischofsamt braucht noch etwas, „der erste Schrecken“ ist einmal vorbei. Mittlerweile haben mich schon sehr viele positive Signale des Willkommens erreicht. Und nun ist mir klar, dass ich mit dem Tirolerisch eine weitere Fremdsprache erlernen muss (lacht).

 

Hatten Sie bisher Berührungspunkte mit Ihrer neuen Diözese? 

Hermann Glettler: Ja, wenn auch nicht viele. Innsbruck kenne ich ein wenig, hauptsächlich die kulturellen Highlights der Stadt. Dazu zähle ich auch die Fresken von Max Weiler auf der Hungerburg. Karl Rahner und andere bekannte Jesuiten haben Philosophie und Theologie in dieser Universitätsstadt zu einem internationalen Anziehungspunkt gemacht. 

Einige Kirchen des Landes kenne ich von einer Exkursion im Zuge meines Kunstgeschichtestudiums. Und noch eine Urlaubserinnerung: Mit jungen Leuten habe ich eine Woche im Kühtai verbracht – Schitourengehen, Selbstversorgerhütte und geistliches Programm in einem Paket. 

 

Wie haben Sie von Ihrer Ernennung erfahren? 

Hermann Glettler: Erst vor einer Woche. Auf Einladung der Kongregation für die Bischöfe musste ich am Donnerstag, 21. September, nach Rom fahren. Weil es der Festtag des hl. Matthäus war, besuchte ich die Kirche San Luigi dei Francesi. Ich wollte das Bild „Die Berufung des Matthäus" von Caravaggio sehen. Jesus zeigt in eine Gruppe hinein, und es ist gar nicht klar, wen er meint. Drei Stunden später fand die Begegnung mit dem Vorsitzenden der Kongregation statt. Trotz einer gewissen Vorahnung war ich ziemlich überrascht, als mir Kardinal Marc Ouellet bereits das fertige Ernennungsdekret auf den Tisch legte. 

Nach dem ersten Schock und einigen Versuchen, ein paar Einwände geltend zu machen, hat sich jedoch ein innerer Friede eingestellt. Ich konnte Ja sagen. In meinen Gedanken war ich beim Fingerzeig Jesu auf dem Caravaggio-Bild: Jetzt zeigt der Herr auf mich! Er ruft mich als einen einfachen und meist sehr beschäftigten Menschen, und er ruft mich, obwohl er meine Schwächen und Sünden kennt. Das ist Barmherzigkeit.

 

Gehen sie schwer weg aus der Steiermark? 

Hermann Glettler: Ich muss das erst realisieren. Ich denke zuerst an meine Familie, besonders auch an einige Personen, mit denen ich sehr viel in meinem Leben teilen konnte. Und ich denke an viele Bekannte und Freunde in der Kunst- und Kulturszene.  Leichter ist es, anderen eine biblische Meditation zu halten, wie wichtig der Aufbruch ist. 

Zum Glück bin ich nicht allzu nostalgisch, sondern eher ein unternehmerischer Typ. Ich war im letzten Jahr in die Vorbereitungen zum Jubiläum „800 Jahre Diözese“ und in den Prozess der Kirchenentwicklung stark eingebunden. Diese Arbeit muss ich zurücklassen. 

 

Sie haben mit Kunst viel zu tun: Müssen sich die Tiroler vor einem Kunst-Bischof fürchten? 

Hermann Glettler: Sicher nicht. Ich will niemanden zur zeitgenössischen Kunst bekehren. Es geht außerdem meist gar nicht um Kunst im Sinne einer Produktion von künstlerischen Objekten oder Installationen. Kunst ist meist ein Katalysator, eine Hilfe zur Ermöglichung einer besseren und ehrlicheren Kommunikation. Also keine Angst, ich werde den „steirischen herbst“ nicht nach Tirol mitnehmen.

 

Trotzdem haben Sie schon seit Ihrer Studienzeit Kunst vermittelt? 

Hermann Glettler: Ja, das stimmt. Am meisten bekannt wurde die lange Phase der „Andrä-Kunst“ von 1991 bis 2014, eine Gastfreundschaft für zeitgenössische Kultur direkt im barock ausgestatteten Kirchenraum Graz-St. Andrä. Aber wichtig war mir der Versuch eines Brückenschlags zur Kunst der Gegenwart schon früher. 

Im Priesterseminar stellten wir junge Künstler aus und luden auch renommierte Künstler ein. Ein Highlight waren Monotypien aus den 50er Jahren von Max Weiler. Als ich den Tiroler Künstler in Wien besuchte, war er sehr angetan, dass sich ein angehender Priester für Kunst interessierte. Er war wortkarg, äußerst gebildet und hatte eine tiefe mystische Sicht der Welt. Bei seinem 80. Geburtstag, den er im Sommer 1990 in New York feierte, durfte ich dabei sein. Ich arbeitete zu dieser Zeit gerade als Freiwilliger in einer Suppenküche und Notschlafstelle von Mutter-Teresa-Schwestern in den Bronx. Das war eine meiner tiefsten Erfahrungen gelebter Nächstenliebe in einem Umfeld echter Trostlosigkeit. 

 

Wie sind Sie zu Ihrem persönlichen Glauben und zu Ihrer Berufung gekommen? 

Hermann Glettler: Daheim auf dem Bergbauernhof habe ich einen sehr bodenständigen Glauben kennengelernt. Ich durfte als Kind ordentlich mitarbeiten, mein Vater hat mir viel zugetraut. Interessanterweise hat sich diese Erfahrung auch für meine Priesterberufung ausgewirkt: Gott traut mir was zu und braucht mich – und die Menschen ebenso. Meine Eltern nahmen Mitte der 70er Jahre an einem Cursillo teil. Das hat unsere familiäre Glaubenskultur positiv geprägt. Im Alter von 15 Jahren lernte ich bei einem Seminar der Charismatischen Erneuerung den leidenschaftlichen Pfarrer Johann Koller von Wien-Hernals kennen. Wie er die Bedeutung Jesu für den persönlichen Glauben aufzeigen konnte, hat mich tief beeindruckt. Nach der Matura begegnete ich auf einer Reise nach Burgund erstmals der Gemeinschaft Emmanuel. Die Möglichkeit, als Priester in einer Gemeinschaft zu leben und in einer zeitgemäßen Weise missionarisch zu sein, ist mir dort als Vision geschenkt worden.

 

Sie haben sich oft zu gesellschaftspolitischen Themen geäußert. Wollen Sie ein politischer
Bischof sein? 

Hermann Glettler: Nicht parteipolitisch natürlich. Aber selbstverständlich im Sinne einer wirklichen Aufmerksamkeit für die Notleidenden unserer Zeit.  Als lebendiges Volk Gottes nehmen wir ganz normal teil an allem, was es an Freude und Gelingen, aber auch an seelischen Verwundungen in unserer Gesellschaft gibt. 

Unser Auftrag ist es, Salz und Licht zu sein – manchmal mitten im „ganz normalen Wahnsinn“ heutigen Lebens.

Hermann Glettler, designierter Bischof der Diözese Innsbruck. Foto: Neuhold