Kränkung macht krank und kriminell

Alles, was Rang und Namen hat zum Thema Gewalt, hat die Caritas kürzlich zu einem Bildungstag im Stadtsaal Landeck versammelt. Eine Tagung, wie sie aufschlussreicher und spannender kaum sein kann.

Alles, was Rang und Namen hat zum Thema Gewalt, hat die Caritas kürzlich zu einem Bildungstag im Stadtsaal Landeck versammelt. Eine Tagung, wie sie aufschlussreicher und spannender kaum sein kann.Für den Primarius des Krankenhauses Maria Ebene (Frastanz), Univ.-Prof. Reinhard Haller, ist klar: In jedem Menschen steckt ein hohes Maß an Aggression. Die Frage ist nur, wie es gelingt, diese positiv zu entwickeln. Aggressionen auszuleben ist vielen Menschen kaum möglich – „sie hacken kein Holz, sie gehen nicht in die freie Natur“. Eine Form, Aggressionen auszuleben, ist für Prof. Haller Fußball. Solche Spiele seien stellvertretende Kriege. Da gehe es um Fahnen, Flanken, um Schlachtgesänge und Angriffe über die Flügel, outet sich der Psychiater als Fan der kommenden Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika.Die Kraft der Goldenen Regel. Hohe Bedeutung misst Prof. Haller der Fähigkeit zu, sich in die Lage anderer Menschen hineinzuversetzen (Empathie) und mit ihnen mitzufühlen. Ein wesentliches Fundament dafür habe die Goldene Regel gelegt (Mt 7,12 – siehe dazu auch den Beitrag auf Seite 5): „Alles was ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut auch ihr ihnen”, sagt Jesus.Dabei gehe es auch um das Lob. Prof. Haller stellte eine Gewissensfrage: „Wann haben Sie ihren Partner das letzte Mal gelobt? Sie werden sagen: Ich habe eh alles gegessen. Aber: Nichts sagen ist Strafe genug!“ Und der Psychiater zitierte den Schriftsteller August Strindberg: „Manche Ehen sind Hinrichtungen, die über Jahrzehnte vollzogen werden.“In seinem Vortrag „Steckt in jedem Menschen ein Potential für Gewalt?“ wies Prof. Haller auf die tiefreichende Wirkung von Kränkungserlebnissen hin: „Was kränkt macht krank, aber auch kriminell.“ Es zeige sich immer wieder, dass die Tat von Massenmördern mit jahrelangen, oft weit zurückliegenden Kränkungen zu tun habe.Tatort Internet. Prof. Haller begrüßte, dass die Kirche aufgrund der jüngsten Ereignisse wach gerüttelt werde, sich mit dem Thema Gewalt und Missbrauch auseinanderzusetzen. Gleichzeitig zeigte er sich um Relativierung bemüht. Die Medien betrieben eine Engführung des Themas auf bestimmte Gruppen. So gingen nur drei Promille, also drei Tausendstel der Fälle sexuellen Missbrauchs von Priestern und Ordensleuten aus.Als alarmierend empfindet der Psychiater, wie stark die Gesellschaft sexuell aufgeladen werde. „Wir leben in einer hypersexualisierten Welt“, so Haller. So würden je Minute weltweit 28.000 Seiten pornografischen Inhalts ins Internet gestellt.Gewalt in der Familie. Jede fünfte Frau in Österreich werde misshandelt – körperlich, psychisch oder sexuell. Das berichtete Gabriele Plattner, Geschäftsführerin  des Tiroler Frauenhauses für misshandelte Frauen und Kinder. „Für viele ist Familie ein Ort der Geborgenheit und Sicherheit, für viele andere aber ist er  ein Ort der Gewalt.“ Plattner gab zu bedenken, dass die Misshandlung von Frauen meist ein Hinweis für die Misshandlung von Kindern sei – und umgekehrt.Plattner verwies auf den Umstand, dass viele Mütter Gewalt in Kauf nehmen aus Angst, sie könnten durch ihr Weggehen die Familie zerstören. Plattner: „Frauen fühlen sich oft schuldig.“ Belastend sei für Frauen auch die Armutsgefährdung – besonders bei Alleinerziehenden. Hinzu komme bei Migrantinnen, dass sie kein vom Mann unabhängiges Aufenthaltsrecht hätten.  Wert der Herzensbildung. Den Wert der Herzensbildung unterstrich Martin Christandl von der Männerberatung Mannsbilder Tirol. Wer Mitgefühl mit sich selber pflege, könne auch anderen mit Respekt begegnen. Zugleich seien Menschen, die sich selber mögen, weniger empfindlich für Kränkungen. Fünf Bausteine seien für Männer wichtig: Körper, Beziehungsfähigkeit, Tun (Arbeit, Hobby), Geld, Glaube bzw. Werte. Besonders schwer empfindet Christandl, wenn Gewaltmissbrauch von kirchlichen Mitarbeitern ausgehe: „Es ist ein doppeltes Verbrechen: Zerstört wird dabei nicht nur das Vertrauen in die Welt, sondern auch das Vertrauen in Gott.“Männer auf Warteliste. Nachdrücklich wies Martin Christandl auf die Armut als wichtigen Gewaltfaktor hin. In sehr hohem Ausmaß seien Burschen Opfer von Gewalt. 20 Prozent der Klienten seien weniger als 18 Jahre alt. Übrigens: 15 Männer stehen zur Zeit auf der Warteliste der Beratungsstelle. Aufgrund fehlender Finanzierung stehe für sie kein kom-petenter Männerberater zur Verfügung.

engelbert_stenico.jpg
Kränkung macht krank und kriminell