Jesus Christus und das Evangelium als Zentrum

Im September 1517 hat Martin Luther Thesen veröffentlicht, mit denen er eine Reform der damals üblichen Kirchenpraxis erreichen wollte. Im Tiroler Sonntag-Interview erzählt Superintendent Mag. Olivier Dantine von dessen Erbe für alle Christen.

Vor 500 Jahren veröffentlichte Martin Luther seine 95 Thesen. Was kann die Erinnerung an dieses geschichtsträchtige Ereignis für das ökumenische Gespräch positiv bewirken? 

Olivier Dantine: Ein Jahr wie 2017 kann heutzutage nicht anders als im Angesicht Ökumenischer Partner begangen werden und im gemeinsamen Blick auf das vor 500 Jahren Geschehene. Katholische Christen können dann wahrnehmen, was für eine Bedeutung die Wiederentdeckung zentraler Botschaften des Evangeliums für die gesamte Christenheit hat, und dass dies ein Grund zum Feiern ist. Evangelische Christen können wahrnehmen, dass durch die aus der Reformation folgende Spaltung die Katholizität der Kirche in Frage gestellt wird, und dass dies für katholische Christen schmerzlich ist. Für das ökumenische Gespräch wäre die Erkenntnis fruchtbar, dass die Reformatoren den Kern des Evangeliums als einen Schatz gehoben haben, aber dass die Spaltung der Christenheit darauf hinweist, dass die Reformation noch nicht vollendet ist.

Martin Luther hat in seinem Leben stark um eine persönliche Beziehung zu Gott gerungen. Welche Botschaft hält Luther für Christen heute bereit? 

Dantine: Luthers Erkenntnis, dass wir ohne jegliche Voraussetzung von Gott gerechtfertigt sind, ist in der heutigen Leistungsgesellschaft relevant wie eh und je: Ich werde von Gott in meinem Wert nicht nach meiner Leistung definiert, ich bin von ihm angenommen. Ich muss mich nicht ständig selbst rechtfertigen, ich darf ganz einfach sein. Wer das annimmt, wird in getroster Gelassenheit leben können.

„Der wahre Schatz der Kirche ist das allerheiligste Evangelium von der Herrlichkeit und Gnade Gottes“, schreibt Luther in seiner 62. These. Das könnte auch ein katholischer Heiliger geschrieben haben. Haben Sie eine Vision, wie es zur Einheit der Christen kommen kann? 

Dantine: Wir kommen dann der Einheit näher, wenn wir uns um Jesus Christus und das ihn verkündende Evangelium als Zentrum bewegen. Aber auch eine Rückbesinnung auf unsere gemeinsame Wurzel im Judentum ist dabei wichtig. Daher ist die gemeinsame Besinnung auf die ganze Bibel, also auch das Alte Testament entscheidend. Dass das 2. Vatikanum die Bibel als bleibenden Bezugspunkt des Glaubens betont hat, war hier sicherlich ein wichtiger Schritt.

Welche Bedeutung kommt einem Papst in einer wieder geeinten Christenheit zu? 

Dantine: Ich glaube, dass der derzeitige Papst in seiner Amtsführung Akzente setzt, die für das ökumenische Verhältnis durchaus interessant sind. Papst Franziskus genießt durch seine klaren Botschaften zur sozialen Gerechtigkeit und in der Flüchtlingsfrage bei vielen Christen weit über die römisch-katholische Kirche hinaus Hochachtung. So wie Franziskus in diesen Fragen auftritt, wird er als Sprecher der Christenheit wahrgenommen. Das ist aber zu unterscheiden von einer Anerkennung des Papstamtes vor allem in seiner Ausprägung seit dem 1. Vatikanischen Konzil. Ein Papstamt mit lehramtlicher Autorität und mit Jurisdiktionsgewalt für die gesamte Christenheit wäre für andere Kirchen nicht vorstellbar. 

Im Innsbrucker Dom hängt das Mariahilf-Bild des „Protestanten“ Lukas Cranach. Was sagt Ihnen dieses Bild? 

Dantine: Ein Bild aus der Künstlerwerkstatt, die wie keine andere mit der Wittenberger Reformation in Verbindung steht, kommt nach Innsbruck und wird für die Frömmigkeit vieler katholischer Christen im Alpenraum so wichtig: Was wie eine Ironie der Geschichte klingt, kann Ausgangspunkt für das ökumenische Nachdenken über Christusbilder und die Bedeutung Mariens werden.  

Das Gespräch führte Gilbert Rosenkranz 

Links: 

www.luther2017.de 

evangelisch-sein.at 

Olivier Dantine ist Superintendent der Evangelischen Kirche Salzburg-Tirol. Foto: EPD/Uschmann