Hilfe tut gut

Veronika Knausz leitet die Familienhilfe der Caritas der Diözese Innsbruck. Deren Entlastungsdienst bietet Hilfe bei der Überbrückung von akuten familiären Notlagen. Wer anruft und wie sich die Arbeit verändert hat, erzählt sie den "Lebenswelten", ei...

Veronika Knausz leitet die Familienhilfe der Caritas der Diözese Innsbruck. Deren Entlastungsdienst bietet Hilfe bei der Überbrückung von akuten familiären Notlagen. Wer anruft und wie sich die Arbeit verändert hat, erzählt sie den "Lebenswelten", einer Beilage des Tiroler Sonntag. 

 

Mein Kind ist krank. Ich muss zur Arbeit. Kann der Entlastungsdienst der Familienhilfe helfen?Veronika Knausz: Ja. Wir können mit Sicherheit innerhalb von 24 Stunden kommen. Das ist wichtig. Denn manche Menschen bekommen kaum Pflegeurlaub oder haben Angst vor einer Kündigung. 

 

Wer ruft sonst noch an?
Knausz: Es gibt die Anrufe wegen Krankheit und Zwillingsgeburten. Ganz stark nehmen Anfragen zu, bei denen Familien von psychischen Erkrankungen betroffen sind – entweder ein Elternteil oder auch Kinder. Zum Beispiel hatten wir unlängst eine zweifache Mutter, die akut in die Psychiatrie musste. Diese und ähnliche Familien betreuen wir dann sowohl sozialpädagogisch [Anm. ein weiterer Dienst der Familienhilfe siehe Kasten] als auch durch den Entlastungsdienst. Es ist wichtig, dass die Tagesstruktur in der Familie aufrechterhalten wird. Die Zunahme von Einsätzen in Familien mit psychischen Erkrankungen über die letzten Jahre ist auffällig.  

 

Haben Sie eine Erklärung für die Zunahme?
Knausz: Nicht wirklich. Wir merken, dass die Familien, die sich bei uns melden, oft ganz massiv überfordert sind, in Alltag, Beruf und Familie zu bestehen. Es gibt die Haltung, überall hundertprozentig alles leisten müssen. Problematische Themen sind der Verlust des Arbeitsverhältnisses, Tod oder schwere Erkrankung eines nahen Angehörigen und Überschuldung. Und manchmal zeigt sich eine psychische Erkrankung eben dann, wenn ganz viel zusammen kommt. Aber so genau können wir das natürlich nie sagen. Interessant ist aber, dass psychische Erkrankungen früher diagnostiziert werden. 

 

Welche Veränderung bei Familien haben Sie in den letzten Jahren noch wahrgenommen? 
Knausz: Die Lebenserhaltungskosten sind gestiegen, gerade Mieten und Betriebskosten. Außerdem wollen die Eltern ihren Kindern möglichst viel bieten. Manchmal vielleicht mehr als den Kindern guttut. Die Kinder kommen dann nicht mehr zur Ruhe. Oft sind auch die Eltern überfordert. Sie sind müde, wenn sie nach der Arbeit nach Hause kommen. Manche haben auch Schwierigkeiten, ihren Kindern Grenzen zu setzen. 

 

Vielleicht gerade weil sie müde sind?
Knausz: Das hängt wohl damit zusammen. Mir fällt die große Verunsicherung gegenüber der eigenen Erziehung auf. „Erziehe ich richtig?“ Es kommen auch schnell rechtliche Fragen auf: „Hab ich die Aufsichtspflicht verletzt…“  Mein Eindruck ist, dass dem eigenen Grundgefühl weniger getraut wird stattdessen vermehrt Erziehungsratgeber eingesetzt werden. 

 

Welche Menschen suchen Hilfe? Gibt es da Tendenzen, was Bildungsstand, Migrationshintergrund etc. betrifft?
Knausz: Nein. Eine akute Notsituation kann schließlich jeden treffen … Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenslagen melden sich. In manchen Lebenssituationen braucht es einfach professionelle Hilfe. Unsere SozialbetreuerInnen für Familienarbeit haben eine dreijährige Fachausbildung. Die große Kunst für uns ist es, die Dringlichkeit zu gewichten und mit den Einsatzzeiten zu jonglieren. In den Grippezeiten wird das besonders deutlich.  

 

Wann suchen Familien Hilfe?
Knausz: Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Menschen, die haben gelernt, sich Hilfe zu holen. Sie haben erlebt, wie gut das tut und dass es vorbeugend hilft. Andere sagen, dass sie sehr lange brauchen, bevor sie bei uns anrufen.  

 

Ist ein Anruf oft schambesetzt?
Knausz: Manchmal. Oder es ist einfach die Haltung: „Wir müssen es selber schaffen.“ „Was könnten die anderen denken?“ Aber  es  rufen auch  Großeltern, Nachbarn, Krankenhäuser und andere Hilfssysteme an und sagen: „Hier braucht es einige Tage Unterstützung.“  

 

Wie sehen Sie die Situation von Alleinerziehenden?
Knausz: Den Alltag zu organisieren ist natürlich wesentlich aufwändiger und anstrengender. Ich spüre auch, dass Alleinerziehende eine ganz besondere Kraft und Energie haben. Es ist wichtig, dass sich Alleinerziehende – und nicht nur diese – frühzeitig Entlastung holen. Und sei es für einen halben Tag, um zum Frisör zu gehen und etwas für sich zu tun. 

Das kann ein Grund sein, die Familienhilfe anzurufen?
Knausz: Ja, um einer Überforderung vorzubeugen, ist das sehr sinnvoll. Gerade für Menschen, die sich auf niemanden stützen können. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass hier zwei oder drei Einsätze im Jahr oft präventiv wirken.  

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Tiroler Sonntag - Aktuell