Gedenkgottesdienst für verstorbene Flüchtlinge

Während rund 20.000 Menschen in Wien für einen humanen Umgang mit Flüchtlingen demonstrierten, wurde am Montagabend bei einem Gottesdienst im Stephansdom der 71 toten Flüchtlinge von der A4 gedacht. In Stellungnahmen aus den Kirchen wurde unterdessen...

Während rund 20.000 Menschen in Wien für einen humanen Umgang mit Flüchtlingen demonstrierten, wurde am Montagabend bei einem Gottesdienst im Stephansdom der 71 toten Flüchtlinge von der A4 gedacht. In Stellungnahmen aus den Kirchen wurde unterdessen der Ruf nach einer verantwortungsvolleren EU-Politik laut. 

von Heinz Niederleitner 

„Es ist genug! Genug des Sterbens, genug des Leides und der Verfolgung. Wir können nicht mehr wegschauen.“ Die Pummerin war eben verklungen, da leitete Kardinal Schönborn den Gottesdienst, zu dem fast die gesamte Bundesregierung gekommen war, mit diesen Worten die Eucharistiefeier ein. In seiner Predigt sagte der Kardinal, mit dem unter anderem Militärbischof Werner Freistetter und Weihbischof Franz Scharl konzelebrierten: „Man konnte ahnen, dass es zu großen Migrationen kommen wird. Jetzt ist es Realität. Und es wird Realität bleiben. Und es wird unser Leben verändern. Der schreckliche Tod auf der A4 hat uns bewusst gemacht, dass wir keinen anderen Weg haben, als gemeinsam uns dieser Realität zu stellen.“
„Es ist möglich“. Den vielen Flüchtlingen zu helfen, sei möglich, aber nicht einfach, betonte der Kardinal. Er kritisierte, dass die Lasten in Europa ungleich verteilt seien und manche Länder nur minimal Flüchtlinge aufnähmen. Es sei aber keine Schande, dass unser Land bei Flüchtlingen einen guten Ruf hat. Schließlich dankte Schönborn allen, die sich um die Flüchtlinge kümmern – bei der Erstaufnahme, bei der Exekutive und den karitativen Organisationen, den Freiwilligen – aber auch den „oft gescholtenen Politikern“. Am Ende seiner Predigt nannte der Kardinal die Situation einen „sehr ernsten Test“, ob in Österreich das christliche Erbe noch lebe, oder „schon Makulatur“ geworden sei. Die Kirchen wie alle anderen Religionsgemeinschaften seien gefordert, mehr zu tun.
„Mittäterschaft“. Von dem Tod von 71 Flüchtlingen auf der A4 hatten sich Vertreter der Ökumene in Österreich – von der katholischen über die evangelischen bis zu den orthodoxen Kirchen – schockiert gezeigt. Verbunden waren viele Stellungnahmen aber auch mit der Forderung, legale Wege für die Flüchtlinge in die EU zu schaffen, damit diese nicht auf die Schlepper angewiesen sind. Besonders scharfe Kritik äußerte der burgenländische Bischof Ägidius Zsifkovics, der in der Bischofskonferenz für die Kontakte zur Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft zuständig ist: Vorfälle wie jener auf der A4 seien erst durch die „derzeitige europäische Untätigkeit“ möglich, die „eine subtile Form der Mittäterschaft“ sei. Zsifkovics forderte die Bundesregierung auf, „mit viel mehr Entschiedenheit als bisher“ von der EU eine gesamteuropäische Strategie als Antwort auf die aktuelle Flüchtlingskatastrophe einzufordern.   

 

Die Predigt von Kardinal Christoph Schönborn bei der Gedenkfeier am 31. August im Stephansdom in Wien im Wortlaut: 

Es berührt schon eigenartig, dass in dem heutigen Tagesevangelium (Lk 4,16-30) ein Syrer vorkommt, ein Mann aus Damaskus, der vor 2.800 Jahren dort gelebt und den Elischa, der Prophet, vom Aussatz geheilt hat. Damaskus, Syrien – er war kein Jude, ein Fremder, wie auch die Witwe eine Fremde war. Millionen sind heute in diesem Land und aus diesem Land auf der Flucht. Viele kommen unter schwierigsten Umständen bis zu uns. Viele schaffen es nicht, kommen unterwegs um, ertrinken im Mittelmeer oder ersticken grauenhaft in einem Kühlwagen für Fleischtransport. Syrien, Irak, Afghanistan – Länder die zum Teil seit Jahren, Jahrzehnten von Krieg und Terror heimgesucht sind – Menschen die einfach überleben und leben wollen, wie wir alle.

Es berührt eigenartig, dass im heutigen Evangelium von einem die Rede ist, der von sich sagt, der Geist Gottes „ruhe auf ihm“, Gott habe ihn „gesalbt und gesandt“, eine gute Nachricht zu bringen, nicht für die Reichen, die schon alles haben, mehr als sie brauchen, sondern für die Armen. Mich erschüttern die Bilder der Flüchtlinge. Sie haben ja meist nichts als ihr Gewand. Meine Mutter konnte mit uns 2 Kindern im Jahr 45 zumindest mit zwei Koffern flüchten. Diese Flüchtlinge haben meist gar nichts als das nackte Leben. Ich versuche mir einfach vorzustellen was das heißt – aus Syrien bis zu uns – mit nichts.

Was für eine gute Nachricht hat dieser von Gott gesandte für die Armen? Er sieht sich gesandt, dem Gefangenen Entlassung, dem Blinden das Augenlicht zu bringen und die Bedrückten, die Zerschlagenen in Freiheit zu setzen. – Was für ein Programm! Utopisch? Überhaupt nicht daran zu denken? Eh nicht möglich? All die Not in der Welt – will er die beseitigen? Will er die harten Fakten nicht akzeptieren?

Es berührt eigenartig, dass Jesus heute im Evangelium am Schluss sagt: Dieses Wort geht heute in Erfüllung. Heute? Unmöglich! Heute? Das schaffen wir nicht! Diese vielen, hunderten, tausenden Flüchtlinge, die heute, täglich kommen, die Freiheit und Leben suchen. – Das aber ist die gute Nachricht: Es ist möglich! Wir haben es nicht erwartet, was da auf uns zukommt. Wir sind einfach überrascht, überrascht worden. Verwunderlich ist es nicht. Man konnte ahnen, dass es zu großen Migrationen kommen wird. Jetzt ist es Realität. Und es wird Realität bleiben. Und es wird unser Leben verändern. Der schreckliche Tod auf der A4 hat uns bewusst gemacht, dass wir keinen anderen Weg haben, als gemeinsam uns dieser Realität zu stellen. Nicht erst morgen. Heute.

Jede Herausforderung hat ihr Gutes. Jetzt sehen wir vor allem die Schwierigkeiten und sie sind ganz real. Und sie sind enorm. Aber sie sind auch eine Chance. Papst Franziskus hat mit einer klaren Geste darauf hingewiesen, als er seine erste Reise in Italien ausgerechnet nach Lampedusa unternommen hat. Seine Worte gegen die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ sind nicht vergessen. Wir können nicht wegschauen. Wie sehr er Papst Franziskus hinschaut, hat er gestern gezeigt – ich war selber Augen- und Ohrzeuge - , als er beim Angelus, dem Mittagsgebet am Sonntag, für die Brüder und Schwestern, diese 71 Opfer, darunter vier Kinder, ausdrücklich gebetet hat und zum Gebet für sie eingeladen hat.

Hinschauen das heißt immer auch, sich um klare Maßnahmen zu bemühen. Gestern hat Papst Franziskus gesagt: „Bitten wir Gott, uns zu helfen, dass wir effizient zusammenarbeiten, um solche Verbrechen zu verhindern, die die ganze Menschheitsfamilie verletzen.“

„Heute hat sich dieses Schriftwort erfüllt“, sagt Jesus. Ich denke in dieser Stunde an die vielen, die heute, jetzt, in diesen schwierigen Tagen, helfen, wo sie können, die nicht wegschauen, die da sind, solidarisch sind, die einfach Zeichen der Menschlichkeit setzen.

Ihnen allen gilt heute unser Dank. Ich denke besonders an alle, die mit der Erstaufnahme zu tun haben. Viele sind überlastet und bleiben doch menschlich. Die Exekutive, die caritativen Organisationen, die Freiwilligen, die große und kleine Dienste tun. Und nicht zuletzt unsere Politiiker, die so oft gescholten werden und die doch das mögliche tun. Wie oft habe ich in diesen Tagen von der Freude gehört, Freude, die das Teilen, die menschliche Nähe zu den Flüchtlingen ihnen schenkt, wenn man ihnen entgegen kommt. Es ist keine Einbahnstraße!

 

Heute habe ich mit Prof. Risser von der Gerichtsmedizin telefoniert. Ich habe versprochen, dass heute im Dom daran erinnere, dass wir auch für ihn und sein Team beten mit ihrer schweren Arbeit.

 

„Heute hat sich dieses Schriftwort, diese gute Nachricht erfüllt“, sagt Jesus und er macht uns damit Hoffnung. Es ist möglich. Es ist nicht einfach. Noch sind die Lasten zu viel ungleich verteilt. Es kann nicht sein, dass manche Länder nur minimale Zahlen von Flüchtlingen aufnehmen und andere Höchststände haben. Es ist aber auch keine Schande, wenn unser Land bei den Flüchtlingen einen besseren Ruf hat als andere einnehmen. Einen guten Ruf in Humanität zu haben, dafür brauchen wir uns nicht zu schämen.

 

Oft wurde ich angefragt, angeschrieben, ob die Kirche nicht mehr tun könne. Alle Religionsgemeinschaften sind hier gefragt, denn in allen Religionen haben Fremde und Flüchtlinge einen hohen Wert und eine besondere Wertschätzung. Viel geschieht bereits und bei weitem nicht alles wird in den Medien berichtet. Aber sicher kann und muss von uns Christen, und von den anderen Religionen, noch mehr getan werden. Und nicht nur die Frage der Unterbringung drängt, sondern mehr noch das, was danach kommt: die Integration, die Beheimatung.

 

Am Schluss sagt Jesus, es sei sein Auftrag, „ein Gnadenjahr des Herrn“ auszurufen. In der jüdischen Tradition war das Gnadenjahr ein Jahr, in dem Schulden erlassen, Sklaven befreit, Fremde aufgenommen werden. Brauchen wir nicht so ein Gnaden-Jahr, ein Jahr in dem alle Kräfte der Gesellschaft, Europas, unseres Landes, zusammenstehen, um die große Herausforderung zu bestehen?

Beinahe geht die Geschichte freilich die Geschichte schlecht aus, Jesu Botschaft erregt Widerspruch, löst Wut aus. Seine eigenen Leute wollen ihn den Felsen hinabstürzen, sie wollen ihn umbringen. Jesu gute Nachricht stößt auf Widerstand. Gerade bei seinen eigenen Leuten. Er geht daraufhin weg und mit ihm geht die Chance der guten Nachricht weg.

Irgendwie ist das was wir jetzt erleben, was uns herausfordert, schon ein sehr, sehr ernster Test, ob bei uns in Österreich, in Europa das christliche Erbe, das Evangelium noch lebt und gilt, oder ob es schon zur Makulatur geworden ist.

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