Für mehr Gerechtigkeit an die eigenen Grenzen gehen

Für zwei Jahre ist Peter Hochrainer aus Neustift i. Stubaital zu einem Einsatz in ein Flüchtlingslager in Ostafrika aufgebrochen. Der Kirchenzeitung Tiroler Sonntag hat er geschrieben, warum er vieles hinter sich gelassen hat.

Zuerst höre ich meist die Frage: „Wohin gehst du?“ Leicht zu beantworten: „Nach Kenia, ins Flüchtlingslager Kakuma.“ –
„Und was machst du da?“ – „Naja, ich arbeite dort für den „Jesuiten Flüchtlingsdienst” im Bereich der psycho-sozialen Betreuung von psychisch kranken und behinderten Menschen…“ – „Aha!?“ Das reicht den meis­ten. Manche aber wollen mehr wissen: „Und warum gehst du? Wofür das Ganze? Was bewegt dich, ins Unbekannte aufzubrechen?“ Diese Fragen sind ungleich schwerer zu beantworten. Ich überlege… 

Mich bewegen Begriffe wie Gerechtigkeit, ungerechte Verteilung, Armut, Reichtum, Vertreibung, Elend, Solidarität, Heimatlosigkeit, Angst vor Fremden, Menschenwürde … Ich möchte mich ein Stück weit einlassen auf die Lebensrealität „Flüchtling“, denen unzählige Menschen weltweit „ausgeliefert“ sind. Ich möchte loslassen von stereotypen Gedankenbildern zu „Afrika“, möchte genauer, differenzierter hinschauen, wie das Leben in Kenia tatsächlich (auch noch) ist.
Ich möchte den Menschen vor Ort begegnen, da-sein, aus-halten. Ich möchte an meine Grenzen gehen, manche überwinden, mich selbst besser kennenlernen, indem ich mich fremden Kulturen aussetze. Ich möchte eigene festgefahrene Bilder und Vorstellungen in Frage stellen lassen und die „Hilfe“ für Bedürftige kritisch betrachten, möchte mich selbst hinterfragen, möchte meinen engen Horizont aufbrechen und weiten lassen.
Ich bin ein Reicher. Ich gehe auch deshalb, weil ich kürzlich entdeckt habe, dass ich tatsächlich ein „Reicher“ bin: reich an sozialen Kontakten, an Ausbildungen, an Gefördert-Werden, an Möglichkeiten, mein Leben sinnvoll zu gestalten, an Freiheit, an Sicherheit … In diesem Reichtum liegt für mich der Auftrag, ihn zu „vermehren“, wie Jesus sagt (Mt 25,14-30). Es geht um die Verantwortung, etwas daraus zu machen, etwas davon weiterzugeben, etwas Positives, Lebensförderliches zu bewirken. Diesen Reichtum kann ich (hoffentlich) einbringen und „einsetzen“, dass er wachsen kann.
Zuerst geliebt.
Schließlich fühle ich mich als Mensch und als Christ „zuerst geliebt“, immer schon und immer wieder angenommen, so wie ich bin, als Reicher, aber auch in meinem Arm-Sein. Dieses Gefühl, dieser Glaube des Getragen-Seins, auch in den Zweifeln, ob mein Gehen etwas bringen wird, ob es denn der richtige Weg ist, ob ich das alles schaffen kann … lässt mich aufbrechen: um einige meiner Ängste verwandeln zu lassen, um Grenzen zu überschreiten und daran zu wachsen, um mich einzulassen und da sein zu können, um mich im Rahmen meiner Möglichkeiten einzusetzen für Gerechtigkeit und menschenwürdiges Leben.
Und was mich noch bewegt? Es ist jene Stelle aus dem Lukas-Evangelium, in der es heißt: „Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe, damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht, damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.“ (Lk 4,18-19)
Peter Hochrainer, geboren 1976, ist Psychiatrischer Gesundheits-und Krankenpfleger und Religionspädagoge. Er ist die kommenden zwei Jahre im Rahmen des „Jesuiten Flüchtlingsdienstes” in einem Flüchtlingslager in Kenia tätig.  

In einem Blog auf der Seiten der Jesuitenmission berichtet Peter Hochrainer von seinem Einsatz:

Zum Blog 

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