Etty – Ein Schauspiel, das unter die Haut geht

Im November ist das Stück "Etty" an drei Terminen in Tirol zu sehen. Im Interview mit Franz Stocker erklärt Regisseur Johannes Neuhauser, was ihn an der Schriftstellerin Etty Hillesum fasziniert.

Sie sind Psychotherapeut und Regisseur. Was hat Sie an den Aufzeichnungen von Etty Hillesum derart fasziniert, dass Sie daraus eine szenische Lesung für die Bühne erarbeitet haben? 

Johannes Neuhauser: Ettys Herangehensweise an das Leben ist mutig und aktuell. Sie erkennt, dass sie Depressionen hat, begibt sich in Behandlung und beginnt ein therapeutisches Tagebuch zu schreiben. In ihrer schonungslosen Offenheit kommt Etty Hillesum sich und ihren Problemen rasch näher: ihrer Ichbezogenheit, mit der sie ihre tiefe Unsicherheit überspielt, ihrer Angst, Wut und Verzweiflung. 

 

Der Titel des Stückes wirkt wie ein Fleckerlteppich: Erotik, Spiritualität, intellektuelle Leidenschaft. Warum dieser eigenartige Titel? 

Neuhauser: Etty beschreibt in ihrem Tagebuch ihre starke Sexualität und wie sie dadurch völlig überraschend einen tiefen Zugang zur Spiritualität und zu Gott bekommt. Auch ihr Intellekt wird geschärft. Sie sieht, was die Menschen hassen lässt und in welche Katastrophen das führt. Sie entscheidet sich für den Weg der Gewaltfreiheit und der gelebten Solidarität. Sie steht bis zuletzt ihren Mitmenschen bei, ohne dabei ihren jüdischen Humor zu verlieren.

Wie waren die Reaktionen auf die bisherigen Aufführungen in Oberösterreich? Gab’s auch negative Kritik? 

Neuhauser: Niemand von uns hatte mit so einem Erfolg gerechnet. Wir spielten Etty im Linzer Musiktheater und in der Tribüne Linz und waren eineinhalb Jahre ausverkauft. Bisher berichteten alle Medien nur positiv. Uns geht es jedoch nicht um vordergründigen Erfolg, sondern um Ettys tiefe Lebenseinsichten. Besonders freute uns, dass der Holocaust-Überlebende und Alterspräsident der jüdischen Gemeinde Linz, George Wozasek, nach einer Vorstellung schrieb: „Eine Glanzleistung! Ich hoffe, dass Etty möglichst viele Menschen erreicht und zum Nachdenken anregt."

Was macht das Stück für heutige Menschen bedeutsam? 

Neuhauser: Dass man ganz in dieser Welt leben kann und gleichzeitig tief mit seinem Innersten und Gott verbunden ist. Dass gelebte Erotik und Spiritualität einander nicht ausschließen, sondern bereichern und befruchten. Und natürlich Ettys Einsicht: „Jedes Atom Hass, das wir dieser Welt hinzufügen, wird sie noch weniger bewohnbar machen, als sie es bereits ist." 

Ist es Zufall, dass im Schauspieler-Team, mit dem Sie arbeiten, Juden, Christen und Atheisten vertreten sind? 

Neuhauser: Als Etty nach Auschwitz deportiert wurde, befanden sich in ihrem Gepäck der jüdische Talmud, die Bibel und der Koran. Für uns war klar, das können wir nur gemeinsam auf die Bühne bringen. Die Christen unter uns sind den Juden tief freundschaftlich verbunden und bei den Festen in der Synagoge immer willkommen

 

Wer ist Etty Hillesum?

Etty Hillesum (1914-1943), Jüdin, war Lehrerin und stammte aus den Niederlanden. Ihre posthum veröffentlichten Tagebücher wurden in 14 Sprachen übersetzt und machten sie weltberühmt. Auf Deutsch sind sie unter dem Titel „Das denkende Herz" erschienen. 1943 wurde Hillesum in Auschwitz ermordet. In ihrem literarisch bedeutsamen Werk beschreibt sie ihre Gefühle und Alltagserlebnisse. Bischof Manfred Scheuer sagt nach dem Besuch des Theaterstückes: „Etty Hillesum glaubte an das ´Trotzdem´ Gottes und der Liebe inmitten der Hölle von Krieg, nationalsozialistischer Besatzung und Deportation." 
Die Bühnenversion des Tagebuchs entstand 2015 für das Landestheater Linz und erfuhr hervorragende Kritiken. 

 

„Etty" in Tirol

Die Aufführungen eines Ensembles des Linzer Landestheaters in Tirol sind:

  • Mittwoch, 22. November, Kolpingbühne Lienz
  • Donnerstag, 23. November, Werkstätte Wattens
  • Freitag, 24. November, Haus der Begegnung Innsbruck

Beginn jeweils um 19.30 Uhr