Dieses Warten zermürbt.

Flüchtlinge sind sein Thema: Jürgen Gschnell leitete unter anderem ein Flüchtlingsheim und führte das Integrationshaus in Innsbruck. Nunmehr im Rahmen der Caritas für Flüchtlinge zuständig, berichtet er im Tiroler Sonntag-Interview von seinen Erfahru...

Flüchtlinge sind sein Thema: Jürgen Gschnell leitete unter anderem ein Flüchtlingsheim und führte das Integrationshaus in Innsbruck. Nunmehr im Rahmen der Caritas für Flüchtlinge zuständig, berichtet er im Tiroler Sonntag-Interview von seinen Erfahrungen.  Tiroler Sonntag: Flüchtlinge suchen bei uns Herberge, womit kämpfen diese Menschen, wenn sie hier ankommen?Jürgen Gschnell: Sie sind anfangs nur müde und erschöpft und wollen zur Ruhe kommen. Dann müssen sie warten, denn die Behörden sind überlastet. Im Grunde sollte nach sechs Monaten entschieden sein, ob ein Flüchtling bleiben darf oder nicht. Es dauert aber meist  bis zu eineinhalb Jahren. Dieses Warten zermürbt, denn unsere Bürokratie ist ihnen gänzlich fremd. Auch die Desillusionierung macht ihnen zu schaffen, weil sie sich Österreich anders vorgestellt haben. Auch hier gibt es Probleme.
Woher kommen diese Vorstellungen?Gschnell: Schlepper vermitteln diese Vorstellungen von Milch und Honig. 
Was ist mit den Familien der Geflüchteten?Gschnell: Nicht zu wissen, wie es den eigenen Familien geht, ob sie noch leben, wann und ob sie überhaupt nachgeholt werden können. Selbst bei positivem Asylbescheid kann eine Familienzusammenführung Monate dauern.  Ein Großteil der Ankommenden sind Männer, gehen sie als erste, weil sie eine Flucht am ehesten überleben?Gschnell: Und natürlich ist es auch eine Geldfrage. Eine Flucht hierher kostet rund 10.000 Euro.Akuthilfe: Wer hilft bei uns im Land und was brauchen die Flüchtlinge?Gschnell: Die Grundversorgung des Landes setzt ein und beinhaltet Essen, Unterkunft, medizinische Versorgung und Rechtsberatung. Das übernehmen die Behörden. Für die Integration, die eigentlich am ersten Tag beginnen sollte, dafür sehen sich die Behörden nicht zuständig. Die Integration übernimmt die engagierte Zivilgesellschaft. Ideal wäre, wenn in jedem Dorfkern eine Familie oder fünf Leute wohnen würden, um die sich die ganze Bevölkerung kümmern kann.  Welche Willkommenskultur haben wir?Gschnell: Die Hilfsbereitschaft ist groß, viele rufen im Freiwilligenzentrum der Caritas an, um zu helfen. Dann vermitteln wir und die Integrationsberatung und wirken als Kontakt-Schnittstelle für Asylwerber und Freiwillige. Für beide Seiten ist wichtig, bestimmte Angebote zeitlich zu begrenzen. Treten Fragen oder Probleme auf, helfen wir.  Wo trifft man sich? Gschnell: Manche Heime laden ein, es wird gemeinsam gekocht und gegessen. Das sind Anlässe, um einander kennenzulernen. Die Asylwerber sind sehr gastfreundlich, denn sie kommen ja aus einer gastfreundlichen Kultur. Und dann heißt es immer wieder Initiativen setzen und mit den Menschen hinaus zu gehen und Bekanntschaften zu schließen. Besonders Ängstliche muss man hier unterstützen. Was wünschen Sie sich in Bezug auf Flüchtlinge?Gschnell: Aufrichtige Politik. Wenn man Menschen aufnimmt, muss man sich auch um sie kümmern. Es ist vorgekommen, dass die Behörde Asylwerber wegen Platzmangels wegschickt.  Noch ein Wunsch?Gschnell: Menschen, die über Flüchtlinge schimpfen und keine kennen, sollten sich kurz Zeit für eine persönliche Begegnung nehmen, dann würde sich die Einstellung ändern. Das ist auch die Erfahrung der Gemeinden mit Flüchtlingsheimen. Kontakt/Info:
Mag. Jürgen Gschnell
Caritas der Diözese Innsrbuck, Heiliggeiststraße 16, 6020 Innsbruck, Tel. 0512/7270-78; j.gschnell.caritas@dibk.at 

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Tiroler Sonntag - Aktuell