Die Kunst zu verbinden

Was anderen Skifahren oder Wandern bedeutet, ist für Hermann Glettler Kunst. Er war früh selbst künstlerisch tätig, organisierte schon in seiner Zeit als Priesterseminarist Ausstellungen und blieb seiner Passion auch als Pfarrer treu.

Es war ein Gang wie jeder andere: der vierte Stock im Grazer Priesterseminar. Dicht aneinander gereiht folgten Tür an Tür. Im Rahmen der „Galerie 4“ nutzte ihn der Priesterseminarist Hermann Glettler, um zeitgenössische KünsterInnen einzuladen, hier ihre Werke auszustellen. „Das war zunächst irritierend, aber auch sehr erfrischend“, erzählt Mag. Matthias Keil, Pfarrer von Graz Herz-Jesu, aus der gemeinsamen Zeit im Seminar. Es habe die Auseinandersetzung mit dem Fremden, dem Anderen gefördert.

Kunst blieb Hermann Glettler auch als Priester ein Herzensanliegen. Nach außen hin sichtbar geworden ist dies vor allem in der Pfarrkirche St. Andrä. Das Gotteshaus liegt ein wenig abseits im Straßenwirrwarr der Grazer Innenstadt. Wer davor steht, wundert sich. In verschiedene Himmelsrichtungen sind Namen zu lesen – von links oben nach rechts unten, horizontal, schräg zu den Kirchenfenstern in großen Buchstaben. Namen und Wortgebilde wie Mozart, Apostel, Frauenschuh, Pinocchio, Da, da ist … Welche Botschaften sind das für eine Kirche? 

 

Der Kirche Farbe geben. Gustav Troger, Maler und Bildhauer, verweist auf eine Tafel neben dem Kircheneingang, wo die Bezeichnungen der Farben aufgelistet sind: „Wir haben uns gefragt, wie wir die Kirche außen gestalten sollen. In der Palette von rund 1.000 verschiedenen Farben haben wir festgestellt, dass jeder Farbe ein Name zugewiesen ist.“ Troger hat dann ein Modell der Kirche gebaut und einzelne Farbbezeichnungen angebracht. Doch keineswegs wahllos wie es vielleicht den Anschein hat. Pinocchio? Die Kinderbuchfigur hat für Troger weitreichende Bedeutung. „Mich hat immer gestört, dass Religion so humorlos ist“, meint er. 

An anderer Stelle ist „Da, da ist“ zu lesen. In Silben zerlegt bekommt das Wort, das die Anhänger des Dadaismus (Anm. moderne Kunstrichtung) bezeichnet, für den Künstler eine neue Bedeutung. Und als wollte Troger der Bedeutung des Wortes besonderen Nachdruck verleihen, legt er den Schwerpunkt seines Gewichtes zunächst auf das linke und dann auf das rechte Bein. „Es geht um Aufmerksamkeit, das Hiersein, ganz da zu sein.“

Ganz hier zu sein… Wer den Kirchenraum betritt, steht jäh vor einer Säule, die vom Boden bis zur Decke mit hunderten von gebrochenen Spiegelteilen gefasst ist. Ebenso wie der Altar. Für Troger ein Hinweis auf die Brüchigkeit des Lebens.  Spiegel, in denen man sich wiederfindet und die je nach Position des Betrachters ein anderes Bild „zurückgeben“. 

Das Fragmentarische fasziniert Troger und drückt viel von seiner Weltsicht aus. „So lange wir nicht wissen, wie es nach dem Tod weitergeht, sind wir alle behindert.“ Worte, die an den Apostel Paulus erinnern: „Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht.“ (1 Kor 13)

 

Bischofskreuz und Bischofsstab. Gustav Troger ist auch jener Künstler, den Bischof Hermann gebeten hat, einen Entwurf für Bischofskreuz und Bischofsstab zu gestalten. Das Fragmentarische findet sich auch hier. Viele gebohrte Löcher, vieles, was offen bleibt, aufgebrochene Geschlossenheit. 

Als Handgriff hat der Künstler eine Gewürzmühle angebracht. Langsam die Silben buchstabierend erklärt er den Sinn, den er dahinter sieht: „Ge(h) – würz – mühle“. Die erste Silbe stehe für das Gehen und die zweite für den Auftrag, das Leben zu würzen: mit Salz? mit Pfeffer? … Er sei mit Hermann Glettler immer im Dialog gewesen, erinnert sich Gustav Troger. Schon so lange, dass er sich an den Beginn der Freundschaft nicht mehr erinnern könne, eine Freundschaft auf der Suche nach Antworten. Hermann Glettler habe er als Menschen schätzen gelernt, der Kunst und Religion miteinander in Beziehung bringen könne. Was ihm gerade in jener Zeit, als er für seine Arbeiten angefeindet wurde, sehr geholfen habe. Und: Hermann Glettler habe ihn als Künstler akzeptiert, wie er ist: „Ich habe nie Kompromisse gemacht."

 

Verbindend und verbindlich. Hermann Glettlers Gabe, Menschen zusammenzuführen, unterstreicht auch MMag. Dr. Johannes Rauchenberger, Leiter des Grazer Kulturzentrums „Bei den Minoriten“. Verbindend, was die Fähigkeit betrifft, historische Räume so zu gestalten, dass sie für das Heute mit neuer Kraft zu sprechen beginnen. Er habe mit Mut, neue Wege beschritten und „Erstaunliches zustande gebracht“. Dabei habe er nie hinter dem Berg gehalten, dass er Pfarrer sei. Evangelisierung sei ihm immer ein großes Anliegen gewesen. Und zwar so, dass jedem Menschen die Freiheit bleibe, dieses Angebot anzunehmen, wie er es für richtig hält. Rauchenberger: „Ich bin da sehr sensibel. Und wenn ich den Eindruck habe, mir will jemand was überstülpen, fahre ich die Krallen aus.“

Pfarrer Glettler habe glaubwürdig gelebt, dass er es mit dem Dialog ernst meine. Damit sei es ihm gelungen, Brücken zu schlagen – „in einer säkularen Gesellschaft, die sich von der Kirche nichts mehr erwartet“, so der Kunstexperte.  Eine Leidenschaft für Gegenwartskunst hat auch Mag. Richard Schieder von der Grazer „Galerie Siegmund Freud“, die Hermann Glettler erst im Sommer eine eigene Ausstellung gewidmet hat. Anlässlich einer Ausstellungseröffnung erinnert er sich, wie dieser ihn für Kunst und den Glauben begeistert hat. Schieder: „Ich habe erfahren, dass Kunst dem Leben neuen Zauber gibt und wiesehr sie hilft, Verborgenes zu entdecken."

17 Jahre lang war Hermann Glettler Pfarrer von St. Andrae in Graz. In der Kirche hat er viele Kunstprojekte verwirklicht.