Das Schicksal in der Bibel

„Das ist Schicksal!“, sagen wir im Alltag, oder: „Sie hat ein schweres Schicksal.“ Wir reden auch davon, dass man sein Schicksal in die Hand nehmen müsse, und davon, dass sich jemand trotz schlimmer Schicksalsschläge nicht hat unterkriegen lassen. Aber was genau versteht man eigentlich unter „Schicksal“ und wie sieht es mit der Bibel aus? Haben die biblischen Autoren an das Schicksal geglaubt? Ein Beitrag von Claudia Paganini.

Zunächst einmal lässt sich feststellen, dass der Begriff „Schicksal“ vielschichtig ist und sich von sinnverwandten Begriffen wie „Los“, „Ergehen“, „Fügung“ oder „Vorsehung“ nicht scharf abtrennen lässt. Über den Daumen gepeilt könnte man sagen, dass „Schicksal“ einerseits etwas von einer höheren Macht über jemanden Verhängtes bezeichnet, andererseits diese Macht selbst und zwar unabhängig davon, ob wir sie uns personal (wie einen Gott) oder apersonal vorstellen. Wirft man einen Blick auf die Welt des Alten Orients, also auf jenen Kulturraum, in dem die biblischen Schriften entstanden sind, wird schnell klar, dass hier für den Zufall – als einen Gegenspieler des Schicksals – kaum Platz ist. Denn die Götter haben absolute Macht über den Menschen und seine Umwelt. Sie sind die Ursache für Schicksalsschläge, die Menschen dagegen sind Schicksal und Göttern hilflos ausgeliefert.

 

Das Wirken Gottes. Die Grundüberzeugung, dass alles, was geschieht, auf das Wirken Gottes zurückzuführen ist, findet man auch in der Bibel – etwa wenn der Sohn Davids stirbt, weil der Vater Ehebruch begangen hatte, oder wenn die Babylonier Jerusalem zerstören, weil sich Israel nicht an die Gebote Gottes gehalten hat. Insofern können wir die Frage danach, ob sich die Idee des Schicksals in der Bibel finden lässt, mit einem „Ja“ beantworten. Zugleich muss man sie aber mit einem „Nein“ beantworten, oder zumindest mit einem „Ja, aber“.

Denn wie die genannten Beispiele gezeigt haben, dominiert in den biblischen Schriften – mit Ausnahme der jüngeren Texte aus der persisch/hellenistischen Zeit – die Vorstellung eines Tun-Ergehen-Zusammenhangs. Das bedeutet, dass der Mensch seinem Schicksal nicht hilflos ausgeliefert ist, sondern es verändern kann, indem er nämlich Gottes Gebote hält und somit vor Unheil bewahrt wird, oder indem er im Moment des göttlichen Zorns durch Buße und Gebet aktiv wird und damit eine Schicksalswende bewirkt. 

Diese Möglichkeit, Einfluss auf das eigene Wohlergehen zu nehmen, bleibt auch in den genannten Schriften (Hiob, Kohelet, Weisheit), die sich kritisch mit dem Tun-Ergehen-Zusammenhang auseinandersetzen, bestehen. Denn wenngleich im Lauf der Dialoge mit den Freunden klar wird, dass der untadelige Hiob nicht selbst an seinem Unglück schuld ist (= Absage an den Tun-Ergehen-Zusammenhang), muss er dieses doch nicht passiv hinnehmen. Vielmehr sucht Hiob die direkte Auseinandersetzung mit Gott, stellt ihn zur Rede, streitet mit ihm und gelangt schließlich nicht nur zu einem neuen Gottesverständnis, sondern auch zu neuem Glück.

 

Gott im Gespräch. Damit unterscheidet sich Hiob klar von den tragischen Helden der griechischen Mythologie. Ihnen ist es zwar erlaubt, dass sie freie – d.h. nicht determinierte – Handlungen ausführen, am Ende wird aber immer eintreffen, was das Schicksal für sie bestimmt hat. Durch all ihr Bemühen und durch ihr oftmals verzweifeltes Handeln haben sie an ihrem Schicksal nichts ändern können. So muss Ödipus seinen Vater töten und seine Mutter heiraten, die Flucht aus seinem Zuhause und alle anderen Vorsichtsmaßnahmen, die er trifft, helfen ihm nicht, seinem Schicksal zu entrinnen.Gegenüber einem solchen unbarmherzigen Schicksalsverständnis, sind die biblischen Szenarien um einiges freundlicher. Denn die hinter dem menschlichen Schicksal stehende Macht ist ein personaler Gott, der sich auf das Gespräch mit dem Menschen einlässt, sich ihm erklärt, ihn auch im Unglück nicht allein lässt und immer wieder sogar bereit ist, die eigenen Pläne zu ändern.

Hiob in der Darstellung von Gerhard Marcks (1957) vor der St. Klara-Kirche in Nürnberg. Foto: Andreas Praefcke/wikipdeia