Bischof Wanke: Offen sein für bunte Biografien

Der emeritierte Erfurter Bischof Joachim Wanke hielt den Hauptvortrag im Rahmen des diesjährigen Dies Academicus an der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck, der zugleich als Diözesantag begangen wurde. Hier finden Sie den Bericht dazu un...

Wanke war der Einladung der Diözese Innsbruck und der Theologischen Fakultät nachgekommen, im Jahr des 50-Jahr-Jubiläums der Diözese einen "Bericht zur Lage des Glaubens" vorzulegen; er verzichtete dabei auf strittige Reformanliegen rund um "heiße Eisen" wie Zölibat, wiederverheiratet Geschiedene, Kirchenstruktur- oder gar Kurienreformen und wählte eine grundlegend biblische Perspektive.
Der renommierte Altbischof aus der früheren DDR bezog sich auf den 1. Petrusbrief aus dem Neuen Testament, der an Christen in einer heidnisch geprägten Mehrheitsgesellschaft am Ende des 1. Jahrhunderts adressiert war. Die damaligen Beschimpfungen und Benachteiligungen für Christen seien mit manchen Entwicklungen der Gegenwart vergleichbar, der Petrusbrief insofern geeignet, heutigen Gläubigen als Richtschnur zu dienen, sagte Wanke. Katholiken im früheren "Ideologiestaat DDR" seien als "rettungslos rückschrittlich" betrachtet und entsprechend behandelt worden. Im "Heiligen Land Tirol" sei die Entchristlichung zwar weit weniger fortgeschritten, dennoch ortete Wanke auch hier Anzeichen einer beginnenden "postchristlichen" Gesellschaft.
"Heute Schmerz, dass Gewohntes ausdünnt"
Der Verfasser des 1. Petrusbriefes vermittle die Einsicht, "dass es Glaube und Kirche ohne gesellschaftliche Fremdheit, ohne Angefochtensein nicht geben kann". Leid und Bedrängnis gehörten wesenhaft zum Christ- und Kirchesein, so der Erfurter Bischof. "Sie erwachsen aus dem Anders-Sein, aus prinzipieller Fremdheit angesichts der Grundgepflogenheiten der übrigen Zeitgenossen." Gegenwärtige "Leiderfahrungen" beträfen z.B. den Schmerz zu sehen, dass sich gewohnte pastorale Strukturen ausdünnen, und dass viele Christen die Präsenz von Kirche vor Ort vermissen.
Laut Wanke tut es manchmal "richtig weh, sich im heutigen weltanschaulichen und religiösen Pluralismus als Christ zu behaupten". Junge Christen etwa im Universitätsmilieu stünden in Gefahr, ob ihrer religiösen Lebensführung "als hinterwäldlerisch, als ein wenig altmodisch belächelt zu werden". Mancherorts werde ein ernsthafter Christ gar als Fundamentalist oder Fanatiker angesehen - ja "als eine Art Taliban", wie Wanke sagte.
Anfechtungen kämen nicht nur von außen, "sondern auch aus unserer eigenen Mitte, durch schuldhaftes Versagen Einzelner, durch schuldhaftes Verhalten der Kirche insgesamt, durch bitteren, ehrverletzenden Streit um Reformstrategien". Der Bischof wandte sich kritisch gegen "Schubladisierungen" in "Anpassler" und "Bewahrer", "Fortschrittliche" und "Konservative" bis hin zu gegenseitigen Verdächtigungen und Verketzerungen.
Offenheit für "bunte Biografien" gefragt
Demgegenüber gelte es sich mit dem Petrusbrief an die "erste Grundbotschaft unseres Glaubens" zu erinnern - die gemeinsame Berufung und Erwählung aller Christen durch einen Gott, der auch die Unvollkommenen und Sünder liebe. Seelsorger sollten sich somit vor
Augen halten: "Ich habe es mit von Gott Berufenen zu tun! Ich bin hier nicht der große Macher, der alles bewirken und am Leben erhalten muss. Ich darf damit rechnen, dass in diesen Gläubigen Gott selbst am Werk ist." Wanke warb für eine "empathische Betrachtungsweise", dass echte Umwandlung und Erneuerung durch Annahme des Soseins erfolge: es sei nicht von der kirchlich-katholischer Sozialisation als Maßstab auszugehen, "Seelsorge fängt dort an, wo der mir begegnende konkrete Mensch derzeit steht - und zwar so, wie er ist, vielleicht nur mangelhaft kirchlich oder überhaupt nicht kirchlich, vielleicht nur sporadisch beim Sonntagsgottesdienst auftauchend, mit einer bunten Biografie, mit größeren und kleineren Brüchen und mit kirchlich nicht ganz stubenreinen Ecken".
Zugleich fordere Christi Rettungstat immer auch zu "neuem Verhalten" auf, warnte Wanke vor einem "Christentum zu verbilligten Preisen". Es gehe um ein rechtschaffenes Leben in vielerlei Hinsicht, um Treue in der Ehe, um Tätigsein in der Welt ohne Habsucht und betrügerische Geschäfte auf Kosten anderer. Gerade jungen Menschen sollte die Messlatte nicht zu niedrig angelegt werden, riet Bischof Wanke: "Sie sollen durchaus wissen, dass es sich lohnt, sich auch hohen Maßstäben zu stellen." Freilich dürfe sich Rechtschaffenheit nicht
als Rigorismus darstellen, der menschenfeindlich ist, oder als "moralische Überheblichkeit, die uns ohnehin keiner glaubt".
Am überzeugendsten ist Kirche nach den Worten Wankes "immer dort, wo sie bereit ist, in der Nachahmung Jesu den Dienst der 'Fußwaschung' zu leisten". Die konkrete Tat der Nächstenliebe sei eine Sakramentenspendung, die "vor den Kirchentüren" erfolgt, und
zugleich der "Lackmustest" dafür, den Gottesglauben von ideologischen Selbsttäuschungen frei zu halten. "Sich den vielfältigen Nöten von Menschen inmitten unserer so wohlhabenden
Gesellschaft zuzuwenden, macht den Kern des Evangeliums sichtbar", betonte der deutsche Bischof.
Scheuer: Kirche muss beweglich bleiben
Der Dies Academicus an der Innsbrucker Theologischen Fakultät stand im Zeichen von "Krisen, Sackgassen, Aufbrüchen, Zeugnissen aus 50 Jahren Diözese Innsbruck im Kontext der Weltkirche", wie die Diözese in einer Aussendung mitteilte. Bischof Manfred Scheuer unterstrich in seinem Grußwort die Notwendigkeit der "Beweglichkeit des Glaubens". Unter Bezugnahme auf den Diözesanpatron und Kirchenlehrer Petrus Canisius (1521-1597), der viele Regionen Europas durchwanderte, bezeichnete Scheuer das Gehen als Sinnbild für diese Beweglichkeit, die sich auch die Kirche zu eigen machen müsse. Gehen sei persönlichkeitsbildend und gemeinschaftsstiftend und gerade heute wieder modern durch eine neue Wertschätzung äußerer und innerer Wege. Scheuer wies auch mit Blaise Pacal darauf hin, dass
die Natur immer in Bewegung sei, völlige Ruhe jedoch nur im Tod bestehe.
Vertreter jener Generationen, die im vergangenen halben Jahrhundert die Diözese Innsbruck mitgestalteten, kamen beim Dies Academicus ebenfalls zu Wort, darunter der ehemalige Generalvikar Ernst Jäger, P. Edmund Runggaldier SJ von der Theologischen Fakultät und die
frühere Frauenkommissions-Vorsitzende Christine Hofinger. Doch mehr als um Rückblicke ging es um die Frage, "wie wir den Herausforderungen der Gegenwart gerecht werden: Pluralismus, Säkularität und die drängendere Frage nach Solidarität und Gerechtigkeit in unserem Land".
Der Dies Academicus endet mit dem Canisius-Gottesdienst um 18 Uhr im Innsbrucker Dom mit dem vierten Innsbrucker Bischof Manfred Scheuer und einem anschließenden Kabarett des "Feinripp-Ensembles" im Haus der Begegnung.
Seit 6. August 1964 eigene Diözese
Das Gebiet der heutigen Diözese Innsbruck gehörte lange Zeit zur Diözese Brixen, einzelne Landesteile auch zur Diözese Chur und zur Diözese Augsburg. Nach dem Ersten Weltkrieg und der Abtrennung Südtirols wurde die "Apostolische Administratur Innsbruck-Feldkirch" eingerichtet, am 6. August 1964 wurde die Diözese Innsbruck-Feldkirch gegründet, der Paulus Rusch als erster Diözesanbischof vorstand. 1968 wurde die Diözese Feldkirch für das Bundesland Vorarlberg gegründet und die jetzige Grenzziehung der Diözese Innsbruck fixiert. 

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Tiroler Sonntag - Aktuell