Betteln in Tirol: Wege aus der Armut

In Innsbruck wird während der Zeit des Ostermarktes wieder ein generelles Bettelverbot bestehen. Ein Schlafverbot für Obdachlose wurde diskutiert, dann aber nicht umgesetzt. Die Not ist da, aber was tun? Ein Bericht von Isabella Oberortner.

Eine Studie über Bettler in Innsbruck verfasst haben die Historikerin Dr. Barbara Tiefenbacher und Elisabeth Hussl von der „Bettellobby Tirol“. In den Blick genommen haben sie vor allem jene Menschen, die aus Osteuropa nach Österreich kommen, um durch Betteln, Musizieren oder Straßenzeitungsverkauf ihren Familien zu Hause das Überleben zu ermöglichen. 

Extreme Armut in Europa. Der offizielle Sprachgebrauch innerhalb der EU kennt nur „relative Armut“, die extreme Armut existiert demnach nur zum Beispiel in Afrika. Von extremer Armut spricht man, wenn Menschen von weniger als 1 Euro pro Tag leben müssen. „Und diese extreme Armut existiert sehr wohl in Europa“, sind die beiden Studienautorinnen überzeugt. 

Viele teure Schuhmarken lassen beispielsweise in osteuropäischen Ländern produzieren und zahlen den Arbeitern nicht einmal den Mindestlohn. Die Schuhproduktion in Osteuropa ist sogar billiger als in China. Von diesen Hungerlöhnen angetrieben kommen Männer nach Österreich und Deutschland, um zu betteln. Das sei eine der wenigen Möglichkeiten, ihre Familien zu versorgen, so die Studienautorinnen. 

Wirtschaftlich schlimme Zustände herrschten etwa in der Slowakei. Der Netto-Durchschnittslohn betrage dort 665 Euro. Die Lebensmittelpreise seien aber auf österreichischem Niveau. Die Arbeitslosenrate liege bei 30 Prozent, es gebe sog. „Hungertäler“. Arbeitsverlust und Perspektivenlosigkeit in den Herkunftsregionen führten zu Migration als Ausweg aus der Armut.

Roma und Sinti. Viele der Bettler in der Landeshauptstadt Innsbruck seien Roma und Sinti. Es existieren unzählige Mythen und Geschichten über diese Volksgruppe, die seit 500 Jahren in Europa leben. Zu ihrer Volksgruppe gehören heute rund 12 Millionen Menschen. Sie haben keinen eigenen Staat. Ursprünglich kommen die Roma und Sinti aus Indien. 

In den vergangenen Jahrhunderten erlebten die Roma in Europa Unterdrückung und Ausbeutung: Sie wurden als Sklaven gehalten, für vogelfrei erklärt – das heißt man konnte sie ungestraft ermorden –, und in der NS-Zeit systematisch verfolgt. Noch immer werden Roma in Europa benachteiligt. So dürfen sie nicht in allen EU-Ländern die gleichen Schulen wie andere Kinder besuchen und haben somit weniger Chancen auf eine höhere Bildung. Österreich hat die Roma und Sinti 1993 als eigene Volksgruppe anerkannt. 

Hilfen. In Innsbruck gibt es viele Angebote für Menschen in extremer Armut – etwa eine vom Roten Kreuz betreute Winternotschlafstelle für derzeit 30 Personen, das Projekt „Waldhüttl“ (eine Initiative der Vinzenzgemeinschaft, die Herberge für derzeit 30 Personen bietet), oder die Wolfgang-Stube der Caritas mit Essensausgabe.

Wichtig zu wissen: In Tirol gilt ein Verbot gegen aggressives, aufdringliches, gewerbsmäßiges und organisiertes Betteln, sowie Betteln unter Mitwirkung von Kindern. Zeitlich begrenzte Bettelverbote gelten in Innsbruck und Seefeld während der Advents-und Osterzeit.

Dieser Bericht ist im Tiroler Sonntag vom 9. März 2017 erschienen.

In Europa existiert extreme Armut, sind die beiden Studienautorinnen Elisabeth Hussl und Barbara Tiefenbacher überzeugt. Foto: Oberortner