Altbischof Reinhold Stecher über das Altwerden

Inzwischen ist er im 91. Lebensjahr: Altbischof Reinhold Stecher. Bei einem Vortrag im Haus der Begegnung erzählte er von Erfahrungen rund ums Altwerden.

Das Alter ist wie ein Herbstabend 

Altwerden in der Werbung? Da sind vor allem jene, die mit 80 Jahren so ausschauen als wären sie 60. Glänzend weiße Haare, mit einem breiten Lachen im Gesicht schwingen sie sich gerade vom Fahrrad. Die Botschaft: Warum mit 80 Jahren leiser treten?
Altsein ist in der Öffentlichkeit das Image der Gebrechlichtkeit losgeworden. Alte Menschen werden nicht mehr nur auf ihre Defizite oder ihren Leistungsabfall gegenüber den sog. „besseren“ Jahren reduziert. Inzwischen ist viel mehr von den neuen Möglichkeiten die Rede. Möglichkeiten, die auch viel mit dem allgemeinen Wohlstand einer Gesellschaft zu tun haben und in deren Genuss auch Bischof Stecher schon gekommen ist. Dank einer Hüftoperation werde ihm der Alltag sehr erleichtert. Aber auch er spüre das Alter. So habe er Mühe bei einer seiner Lieblingsbeschäftigungen, dem Lesen.
Wie wenig selbstverständlich diese Möglichkeiten sind, zeige ein Blick über die Grenzen. Bischof Stecher: „Fahren Sie einmal in die Länder des ehemaligen Jugoslawien. Eine medizinische Versorgung, wie sie für uns selbstverständlich sei, gibt es dort nicht.“
„Aber“ – so Bischof Stecher – „so viele Chancen die Aktivitätswelle auch bietet, Geschäftemacher hätten längst Witterung aufgenommen und Senioren als profitablen Markt erkannt.“ Verkauft werde das Bild eines alten Menschen, dessen Gesicht faltenfrei sei wie ein Hemd. Gebrechen kommen in dieser Traumwelt nicht vor. Sie lassen sich reparieren wie ein Auto, das zum Service fährt.
Das Alter anerkennen. Wenn das Bild vom rüstigen alten Menschen nicht mehr passt – weder dem Anschein nach noch vom eigenen Gefühl her, ist „die nüchterne Akzeptanz des Alters, die Fähigkeit zum Loslassen, die Bereitschaft, den eigenen Wirkungskreis enger zu gestalten“ wichtig, so Bischof Stecher: „Das Anerkennen bestimmter Einschränkungen gehört zum glücklichen Altwerden.“
Wie wenig selbstverständlich das Akzeptieren dieser Grenzen ist, illustrierte Bischof Stecher am Beispiel einer Anekdote aus dem Leben von Leo XIII., der 93 Jahre alt wurde. Beim Besuch eines befreundeten Priesters, der ihm im hohen Alter zum Geburtstag gratuliert hatte, soll der Papst gemeint haben: „Wir fühlen noch nichts von unserem Alter.“ Darauf der Priester: „Dafür aber die anderen.“
Wehen des Geistes. Bischof Stecher ermutigte die alten Menschen zum Dienst des Gebets für andere und erzählte: „Viele tausend Briefe habe ich Menschen geschrieben, die aus der Kirche ausgetreten sind oder Atheisten sind.“ Unter ihnen sei auch ein Mann von weither, mit dem er seit Jahren regelmäßigen Briefkontakt habe. Bischof Stecher: „Einmal habe ich ihm geschrieben: Ich bete immer für Dich. Auch wenn Du nichts davon hälst.“ Die Antwort des Atheisten fiel überraschend aus: „Bitte bete für mich. Ich nehme Dein Gebet ernst.“
Der Dank der Dankbarkeit. Der Glaube habe ihn Dankbarkeit gelehrt, meinte Bischof Stecher. Diese wiederum führe zu einer positiven Grundeinstellung dem Alter gegenüber, aus der man ganz nebenbei auch selbst seinen Nutzen ziehen könne, so Bischof Stecher: „Auch in der Pflege ist das so. Einem Menschen, der dankt, wird lieber geholfen.“ Der Dank bringe eben viel auf die Beine.
Das Alter? Für Bischof Stecher ist es wie ein Herbstabend: „Die Sicht wird klarer, der Horizont weiter und die Farben werden milder.“ 

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Altbischof Reinhold Stecher über das Altwerden