Abschaffen. Nein Danke

Für die einen ist er ein Privileg der Kirchen, das abgeschafft gehört; andere kritisieren ihn als seicht und wenig effizient; bei den %u201ESeggauer Gesprächen%u201C über Staat und Kirche stand er vergangene Woche zur Debatte: der Religionsunterricht...

Für die einen ist er ein Privileg der Kirchen, das abgeschafft gehört; andere kritisieren ihn als seicht und wenig effizient; bei den „Seggauer Gesprächen“ über Staat und Kirche stand er vergangene Woche zur Debatte: der Religionsunterricht. Für den Religionspädagogen
Wolfgang Weirer ist er ein „Dienst an den Schülerinnen und Schülern, an der Schule und an der Gesellschaft“. Mit ihm führte Hans Baumgartner das folgende Interview: 

 

Die Betreiber eines Volksbegehrens gegen Kirchen-Privilegien wollen die Abschaffung des Religionsunterrichtes. Wie sehen Sie das?
Weirer: In Österreich gibt es seit 1945 eine Trennung von Kirche und Staat, indem beide Seiten die jeweilige Autonomie des anderen respektieren. Es gibt aber auch Bereiche, wo beide Seiten ein Interesse an einer Zusammenarbeit haben. Der Religionsunterricht ist
einer davon. Wichtig ist, dass es hier einen guten Austausch darüber gibt, was sind die Ziele für den Religionsunterricht von Seiten der Religionsgemeinschaften und was sind die Ziele des Staates. Und da gibt es in Österreich über die Jahre hinweg eine gute Gesprächsbasis und einen großen Konsens. Deshalb geht es hier nicht um ein Privileg, sondern um eine gemeinsame Sache. 

Was spricht dafür, dass das eine gemeinsame Sache ist, an der sich auch der Staat beteiligt?
Weirer: Weil Religion zu unserer Gesellschaft gehört. Sie ist auf vielfältige Weise in unserem Alltagsleben, in unserer Geschichte und Kultur gegenwärtig – von den vielbesuchten Palmprozessionen und österlichen Speisesegnungen bis hin zur Frage, welche Rolle spielte die Religion bei den jüngsten Attentaten auf eine jüdische Schule in Frankreich. Auch über persönlich gelebte und öffentlich formulierte Werthaltungen ist Religion präsent – etwa wenn ich an die konkrete Caritas denke, an den Umgang mit Asylanten oder die Frage einer gerechten Wirtschaftsordnung. Was in unserer Gesellschaft von Bedeutung ist, gehört auch in die schulische Bildung integriert, damit man lernt, damit umzugehen und es in das eigene Leben zu integrieren.  
Und dann gibt es da noch eine zweite Seite, die anthropologische: Ich denke, dass Reli-
gion untrennbar zum Menschen dazugehört, in welcher Weise auch immer – auch in der Form ihrer Ablehnung. Sie ist ein bestimmendes Element von menschlichem Denken, Wollen, Fühlen und Handeln. Und gerade weil das heute in vielen Fällen nicht mehr in ganz konkreten Kirchen und Religionsgemeinschaften verortet ist, sondern Religiosität sehr individualisiert auftritt, ist religiöse Bildung mehr denn je auch ein öffentlicher Auftrag.   

Sie sprechen vom „öffentlichen Auftrag“. Was haben der Staat und die Gesellschaft davon?
Weirer: Ich denke, dass der Religionsunterricht, so wie er in Österreich angelegt ist, die beste Prophylaxe ist gegen Missbrauch von Religion, gegen fundamentalistische Strömungen, gegen Totalitarismen. Wirklich fundierte religiöse Bildung ermächtigt auch immer zur kritischen Reflexion. Schon Paulus sagt: „Prüft alles, das Gute behaltet.“ Man lernt zu unterscheiden und das macht auch offen zur Begegnung mit Fremdem.
Ich halte den Religionsunterricht in der Schule auch deshalb für eine große Chance, weil er öffentlich und nicht in der Verborgenheit der Sakristei oder des muslimischen Gebetshauses stattfindet. Dort hätte der Staat  keinen Einfluss auf Lehrpläne, auf pädagogische Standards oder auf die Frage, wie steht ihr zu den freiheitlich-demokratischen Werten, zur Grundrechtecharta oder zu den Menschenrechten. Dieser Dialog tut als kritisches Korrektiv auch den Religionsgemeinschaften gut.  Ich erinnere hier nur an die Debatte über den islamischen Religionsunterricht, die gezeigt hat, dass hier sowohl vonseiten des Staates als auch vonseiten der Religionsgemeinschaft noch einiges zu verbessern ist. Dieses Beispiel zeigt aber auch, dass wir hier in Europa eine Vorreiterrolle haben, was den islamischen Religionsunterricht und die Ausbildung islamischer Religionslehrer/innen betrifft. 

Kritik am Religionsunterricht gibt es ja nicht nur von Kirchenkritikern, sondern auch innerhalb der Kirche. Wie sehen Sie das?
Weirer: Die einen beschwören lautstark ein Bild vom Religionsunterricht, das es so nicht (mehr) gibt und werfen ihm vor, dass er die Schüler/innen indoktriniert und mittels
Notendruck in die Kirchen treiben will. Und die innerkirchlichen Kritiker halten ihm vor, dass er zu wenig an Glaubenswissen, an kirchlicher Moral und Praxis vermittelt. Ich halte das für eine „unheilige Koalition“, weil sie das gemeinsame Verständnis von religiöser Bildung in der Schule gefährdet. 

Was soll und kann der Religionsunterricht leisten?
Weirer: Über die Zielsetzung des Religionsunterrichtes gibt es im deutschen Sprachraum seit der Würzburger Synode (1974) einen großen Konsens: Es geht darum, einen Unterricht für alle Schüler/innen anzubieten, egal, ob sie im Glauben sozialisiert sind oder nicht, ob sie Suchende sind oder mit Religion kaum etwas am Hut haben. Religionsunterricht muss allen, die kommen, etwas bieten – eine Materie zur echten Auseinandersetzung. Dazu braucht es natürlich fundierte Inhalte, keine Frage! Aber der Religionsunterricht kann keine Katechese ersetzen, zu der junge Leute freiwillig kommen, weil sie bereits auf einen konkreten Glaubensweg unterwegs sind. Er ist ein Dienst der Kirche an den Schüler/innen, an der Schule und an der Gesellschaft, aber keine „Rekrutierungsanstalt“. 

Wie stehen Sie zur Einführung eines verpflichtenden alternativen Ethikunterrichts?
Weirer: Ich halte es für die Pflicht des Staates, jenen Schüler/innen, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, eine Grundinformation über ethische bzw. religionskundliche Fragen zu vermitteln. Das gehört einfach zur Bildung dazu, wenn ich Menschen befähigen möchte, in einer freiheitlich-pluralen Gesellschaft verantwortlich zu handeln. Ich begrüße daher die Entschließung des Nationalrates vom Jänner, der die Regierung auffordert, die Einführung eines verpflichtenden alternativen Ethikunterrichtes vorzubereiten. Eine Freistunde statt Religion ist keine Alternative – auch nicht im Sinne der Schüler/innen. 

Und was sagen Sie zu der Forderung, anstelle des Religionsunterrichtes einen Ethikunterricht einzuführen, wie das in Berlin gemacht wurde?
Weirer: Ich will den Ethikunterricht nicht abwerten. Aber ich bin überzeugt, dass der Religionsunterricht den Schüler/innen noch einmal einen anderen Zugang zu diesem wichtigen persönlichen und gesellschaftlichen Thema erschließt. Ich sehe seine Stärke darin, dass eine tiefere Auseinandersetzung mit Religion im Grunde nur im Wege der Erfahrung mit einer konkreten Sozialgestalt, mit einer konkret gelebten Form von Religion (z. B. Katholizismus) möglich ist. Das sehen offenbar auch die Schüler/innen so. Denn die Erfahrung zeigt, dass dort, wo Ethik als Schulversuch schon eingeführt ist, der Religionsunterricht sehr gut mithalten kann. Das spricht für die Qualität des Angebotes und für den Einsatz der Lehrer/innen. Ich sehe die Debatte um den Religionsunterricht auch als Chance für die Kirchen und Religionsgemeinschaften, ihre Ziele und Grundanliegen gemeinsam zu formulieren und sie verstärkt öffentlich darzustellen – als Dienst an einer gemeinsamen Aufgabe. 

Ao. Prof. Dr. Wolfgang Weirer lehrt Religionspädagogik an der Universität Graz. 

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