Kritisieren allein ist zu wenig

Es ist eine Nacht- und Nebelaktion: SchülerInnen der 8c-Klasse Adolf Pichler-Platz Innsbruck sind auf Fahrrädern, Mopeds und in Autos unterwegs. Ihr Ziel sind Kirchen zwischen Imst und Schwaz. An die Türen heften sie 95 Thesen zur Reform der Kirche. Der Tiroler Sonntag hat die „Reformatoren“ besucht.

„Kritisieren allein ist zu wenig", meint Prof. Mag. Angela Bachlechner, Religionslehrerin der 8c. Wieder einmal diskutieren die SchülerInnen über die Kirche. Wie zeitgemäß sie ist. Weshalb sie dringend reformiert gehört. Da meldet sich Matteo zu Wort: „Dann machen wir’s eben so wie Martin Luther und schreiben 95 Thesen…" – 95 Thesen zur Erneuerung der Kirche.

 

Frech formuliert. Seit dieser Religionsstunde ist mehr als ein halbes Jahr vergangen. Inzwischen sind die Thesen formuliert: „95 Thesen wie (die katholische) Kirche im Sinne Jesu leben soll.“ Die Themen reichen von theologisch Grundsätzlichem wie „die Kirche ist das wandernde Volk Gottes (Zweites Vatikanisches Konzil 1964) auf dem Weg zur Vollendung“ bis zu Fragen der Moral: „Liebe unter homosexuellen Menschen darf auch körperlich gelebt werden.“

Einzelne Formulierungen sind frech: „Wenn der Ausschluss der Frauen von der Priesterweihe damit argumentiert wird, dass Jesus lediglich Männer zum Priesteramt berief und man nur seinem Beispiel folgen möchte, so müsste auch der Papst anstelle eines Autos auf einem Esel reiten.“ 

In einigen der Thesen geht es um das konkrete Erleben der Jugendlichen von Kirche: „Gottesdienste, Eucharistiefeiern sind Ausdruck der Freude über das, was Jesus für uns getan hat … Die Lebensfreude kann und soll in Musik, Farbenfreude der Gotteshäuser, lebendiger Sprache zum Ausdruck kommen.“ Einige Thesen zeigen die kritische Erfahrung kirchlicher Lebenspraxis: „Kirchenshops und Eintrittsgelder in Wallfahrtskirchen stehen im Gegensatz zu Jesu Lehre. Warf er nicht persönlich die Ware von den Handelstischen im Tempel?“ Nicht wenige Thesen stehen in offenem Widerspruch zum offiziellen Lehramt der Kirche.

Wichtig, aber antiquiert. Gleich zu Beginn der Diskussion mit der 8c wird das Anliegen deutlich. Jonas: „Kirche ist wichtig, aber antiquiert.“ Und als Beispiel nennt er den Umgang mit homosexuellen Menschen. Es gelte, die Anliegen des 2. Vatikanischen Konzils einzulösen, meint er. Lukas hakt nach. Es gebe eine mangelnde Einbindung von Frauen in die Kirche … Dinah unterstützt ihn und erinnert an die herausragende Rolle von Maria und Maria Magdalena. Und wieder meldet sich Jonas: „Der Pflichtzölibat gehört abgeschafft.“ Man möge sich ein Beispiel nehmen an jenen Kirchen, die mit dem Papst uniert sind. 

Caroline weiß wie Jonas von positiven Kirchenerfahrungen zu berichten – Jugendmessen und eine sehr aktive Jungschar. Und Jonas meint, man möge öfter Predigtgespräche machen. Sophie stören die „veralteten Kirchenräume“. Am liebsten würde sie Kirchen umdekorieren.

 

Lange Arbeit. Begonnen hat die 8c mit dem Sammeln und Formulieren ihrer Vorschläge zur Erneuerung der Kirche noch vor den letzten Sommerferien. Nach der Fertigstellung teilten sich die Jugendlichen weitere Aufgaben auf. 

Daniel und Aaron setzten sich aufs Fahrrad und klapperten die Kirchen in Innsbruck ab. Sophie und Matteo waren im Auto Richtung Imst unterwegs, Federico und Lukas Richtung Schwaz. An alle Kirchentüren klebten sie die 95 Thesen. Ob sie nicht Angst haben, dass viele ihrer Thesen als Angriff verstanden werden? Jonas stellt klar: „Es gibt viel Posi-
tives in der Kirche, aber sie geht so schlecht gekleidet umher.“ Und Matteo legt nach: „Wir wollen die Kirche verbessern." 

Die 95 Thesen zum Download auf www.tirolersonntag.at 

14 SchülerInnen der 8c-Klasse im Realgymnasium Adolf Pichler-Platz beschäftigte die Frage: Was braucht es für eine Erneuerung der Kirche? Foto: Rosenkranz