Amazoniens vitale Bedeutung für den ganzen Planeten

Bischof Erwin Kräutler, früherer Bischof von Xingu in Brasilien, ist eben von den Vorbereitungen zur Amazonas-Synode heimgekehrt, da steht schon sein 80. Geburtstag am 12. Juli an. Und er hat ein neues Buch zur Synode, die im Oktober stattfindet, geschrieben.

Heinz Niederleitner, Leiter der Kooperationsredaktion Salzburg, hat mit Bischof em. Erwin Kräutler aus diesen Anlässen ein Interview geführt.  

Niederleitner: Sie beginnen Ihr neues Buch mit dem besonderen Weg der Menschen in der Amazonas-Region. Wird in Europa übersehen, dass es zunächst eine Synode für die Menschen dieser Region ist? 

Bischof Erwin Kräutler: Ein wichtiges Detail ist, dass die Synode nicht in irgendeiner größeren Stadt Südamerikas stattfinden wird, sondern in Rom. Dies aus zwei Gründen:  Papst Franziskus will persönlich an allen Sitzungen teilnehmen und Amazonien ist von vitaler Bedeutung für den ganzen Planeten.

Muss die Synode Europa, den USA oder China ins Gewissen reden: Erkennt eure Verantwortung am Raubbau in Lateinamerika! 

Kräutler: Amazonien hat eine klimaregulierende Funktion. Diese Tatsache ist wissenschaftlich belegt. Wenn es mit der Entwaldung und skrupellosen Zerstörung so weitergeht, werden zunächst der Süden Brasiliens und die südlichen Länder Südamerikas darunter leiden, aber die Folgen werden recht bald auch auf der nördlichen Halbkugel zu spüren sein. Unsere Kirche hat den Auftrag, weltweit die Verantwortung der jetzigen Generation für die zukünftigen Generationen einzumahnen. In seiner Enzyklika Laudato Sì sagt Papst Franziskus: „Ich lade dringlich zu einem neuen Dialog ein über die Art und Weise, wie wir die Zukunft unseres Planeten gestalten. Wir brauchen ein Gespräch, das uns alle zusammenführt, denn die Herausforderung der Umweltsituation, die wir erleben, und ihre menschlichen Wurzeln interessieren und betreffen uns alle.“

Die indigenen Völker sind für uns in Europa fremd, sie führen ein anderes Leben. Was braucht es, um zu erkennen, dass ihre Lebensgrundlagen nicht weniger zählen als unsere?  

Kräutler: Es braucht vor allem eine liebende Solidarität und Aufgeschlossenheit für andere Kulturen und Gemeinschaften. Wir sprechen heute weniger von Inkulturation, sondern mehr von einer Interkulturalität als gegenseitig bereicherndem Austausch zwischen unterschiedlichen Kulturen – und dies auch auf religiöser Ebene. Evangelisierung bedeutet zunächst, die Gegenwart Gottes in den verschiedenen Kulturen zu „entdecken“. Evangelisierung bedeutet nicht nur Verkündigung, sondern auch Zeugnis abzulegen. Manche von uns haben ihre Liebe zu diesen Völkern mit dem Leben bezahlt. Evangelisierung ist Einsatz für diese Volksgruppen, der Dienst an ihnen wie Jesus ihn bei der Fußwaschung praktiziert hat. Evangelisierung ist Dialog auf Augenhöhe ohne jede kulturelle Arroganz oder religiöse Überheblichkeit. Wir wollen den Indios nie unseren Lebensstil aufzwingen. Aber wir kämpfen gemeinsam mit ihnen um den Respekt gegenüber ihren in der Verfassung verankerten Rechten, insbesondere ihrem Recht auf ihr angestammtes Gebiet. Auch sollen sie Zugang haben zu allen öffentlichen Einrichtungen, insbesondere im Gesundheits- und Schulwesen.

Manche Stimmen aus dem Vatikan erklären sinngemäß, der Priestermangel im Amazonasgebiet sei viel schlimmer als in Europa. Wird da vorgebaut nach dem Motto: Wenn es viri probati im Amazonas gibt, braucht ihr in Europa noch lange nicht darauf hoffen? 

Kräutler: Statistische Vergleiche zwischen Österreich und Amazonien anzustellen, um damit beweisen zu wollen, dass in Österreich kein Priestermangel besteht, gehen an der Wirklichkeit vorbei. Die Kirche in Österreich erlebte eine ganz andere Geschichte als Amazonien. Seit Jahrhunderten hatte in Österreich jede noch so kleine Gemeinde ihren Pfarrer, der seine Schäfchen kannte, also wie Papst Franziskus es 2013 formulierte, den „Geruch der Schafe“ besaß. Die Situation hat sich in Österreich drastisch verändert durch die Schaffung von Pastoralräumen und eine angehäufte Verantwortung eines einzigen Priesters für mehrere Gemeinden. Wie können heute unsere Priester als „Blaulicht-Priester“, die von Gemeinde zu Gemeinde rasen, sich noch den Geruch der Schafe aneignen? Wir haben auch einen eklatanten Priestermangel in Österreich und es wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Wer sagt, heute haben alle ein Auto und können in eine Gemeinde fahren, in der eine Eucharistiefeier stattfindet, versteht den Sinn der Eucharistiefeier nicht. Zur Eucharistiefeier gehört das Sich-Versammeln einer ganz konkreten Gemeinde und dazu gehört das Gemeinschaftsbewusstsein: „Wir feiern den Tod und die Auferstehung unseres Herrn“. Der Akzent liegt auf dem „Wir“. Gerade das wollen wir für Amazonien!

Was meinen Sie genau? 

Kräutler: Wir wollen, dass in jeder Gemeinde ein Priester ist, der mit den Leuten lebt, den Geruch der Schafe annimmt, für sie da ist und sie nicht nur ein-, zweimal im Jahr besucht. Der Sonntagsgottesdienst besteht aus zwei Teilen, dem Wortgottesdienst und der Eucharistiefeier. Beide Teile gehören zusammen. Wenn eine Gemeinde fast ausschließlich nur Wortgottesdienst feiern kann, dann fehlt das, was uns als katholische Christ/innen ausmacht. Wenn 70 Prozent der ländlichen Gemeinden nur ein-, zweimal im Jahr die Eucharistie feiern können, ist das ein kircheninternes Ärgernis und verstößt gegen den ausdrücklichen Willen des Herrn: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ – Da darf der Zugang zum Weihepriestertum nicht länger auf zölibatäre Männer beschränkt bleiben.

In Ihrem neuen Buch schreiben Sie, bei der Frage der Priesterweihe von Frauen gehe es nicht um den Priestermangel, sondern um Geschlechtergerechtigkeit ... 

Kräutler: Ich kenne bis zu 200 Kilometer von den Pfarrzentren entfernte Gemeinden, in denen verheiratete Frauen seit Jahr und Tag kompetent und mit viel Einfühlungsvermögen den sonntäglichen Wortgottesdienst leiten, aber auch Eltern und Paten für die Taufe, Kinder für die Erstkommunion, Jugendliche für die Firmung vorbereiten und dazu Krankenbesuche machen. Warum, um Gottes Willen, ist es nicht möglich, einer solchen Frau die Weihe zu erteilen, damit sie mit ihrer Gemeinde sonntags die Eucharistie feiern und die Sakramente spenden kann? Aber nicht etwa in Ausnahmefällen sollen Frauen auf Grund des Priestermangels die Weihe erhalten. Frauen sind doch keine Notnägel, wenn es an Männern fehlt! Das Argument, dass beim letzten Abendmahl keine Frauen dabeigewesen seien, überzeugt nicht. Wenn das so ausschlaggebend gewesen wäre, dürften Frauen im Grunde nicht einmal die Kommunion empfangen. 

Im Arbeitspapier der Synode sieht der extrem konservative Kardinal Walter Brandmüller einen „Angriff auf die Grundlagen des Glaubens“. Werden solche Vorwürfe die Synode beeinflussen? 

Kräutler: Das glaube ich kaum. Dieser neunzigjährige Kardinal ist nicht der Einzige, der so aggressiv gegen die Synode wettert. Alle Angriffe, die wir bisher erfahren haben, stammen von Personen, die kaum pastoral tätig waren, nie in Amazonien gewesen sind und von vornherein gar nicht auf unsere Probleme eingehen wollen. Uns geht es um die Menschen in unseren Gemeinden! Den Gegnern der Synode sind die von Menschen geschaffenen Gesetze und Normen wichtig – Praktiken, „die in anderen kulturellen Zusammenhängen einen Sinn ergaben“ (Papst Franziskus), aber heute nicht mehr nachvollziehbar sind und dies insbesondere in den Diözesen Amazoniens. «

 

Das neue Buch von Bischof Erwin Kräutler erscheint Mitte August: „Erneuerung jetzt. Impulse zur Kirchenreform aus Amazonien.“ Tyrolia-Verlag, ca. 160 Seiten, 14,99 Euro

Erwin Kräutler tritt als Bischof für die Menschen in Amazonien und ihren Lebensraum ein. Für die Amazonas-Synode hat er wesentliche Vorarbeit geleistet. Bild: Rupprecht/Kathbild.at